BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
allmählich zu sterben begann. Es wurde Zeit für den Rückweg. Er würde den Fremden keine lange Verschnaufpause gönnen dürfen.
Mirvishs Lächeln vertiefte sich eine Spur, und hätte ihn jemand gesehen, hätte er gutmütige Häme in seinen wettergegerbten Zügen gesehen.
Er wartete, bis er gehört hatte, dass sich auch der letzte Nachzügler hinter ihm zu Boden hatte fallen lassen, und dann noch zehn Sekunden. Dann klopfte er die glühenden Tabakreste am Stein aus dem Pfeifenkopf, die der Wind als rotglimmende Flocken über die Felsen wehte, verstaute sein Rauchzeug sorgfältig im Rucksack und erhob sich.
"Ladies, Gents", sagte er, "wir müssen weiter."
Sein Blick glitt über die zehnköpfige Truppe, die ihm wie einem Feldherrn zu Füßen lag. Durch die Bank sah er gerötete Gesichter, und hinter der Erschöpfung erkannte er zumindest in einigen Augenpaaren etwas, das ihn – hätte es ihn getroffen – tot zu Boden hätte gehen lassen.
Mirvish zwang wenigstens einen Anflug von Bedauern in seine Miene.
Es tut mir leid, aber...,
wollte er fortfahren.
"Fünf Minuten", bettelte ein Mann im angeblich besten Alter, und es klang, als bäte ein zum Tode Verurteilter seinen Henker um einen winzigen Aufschub, weil er doch noch auf den rettenden Anruf des Gouverneurs hoffte.
"Sorry", sagte Mirvish. "Aber es wird bald dunkel, und dann bleibt uns nichts anderes übrig, als hier draußen zu übernachten." Und er fügte hinzu: "Leider ist der Komfort hier oben nicht halb so gut wie in Ihrem Hotel unten im Tal."
Ein junger Mann stand auf, allerdings nicht halb so mühelos, wie er es offensichtlich beabsichtigt hatte.
"Kommt schon, Leute, auf die Beine!" rief er. "Ich habe keine Lust, mir heute Nacht hier draußen den Arsch abzufrieren!"
Ein Ächzen und Raunen lief durch die Gruppe wie eine Welle. Fast eine Minute verging, bis schließlich auch der Letzte wieder auf den Beinen war.
Clarence Mirvish hob den Arm und winkte den Leuten, ihm zu folgen. Dann trat er auf den Felsenpfad, der sich in schmalen Kehren an der Bergflanke hinab wand. Die Lichter von Meat Cove stanzten helle Punkte in die Dämmerung, die die Nordküste fast schon verschlungen hatte. Sie schienen erlösend nahe, doch Mirvish wusste, dass der Eindruck täuschte. Sie würden noch knapp zwei Stunden brauchen, um in dem kleinen Fischerdorf anzukommen.
Wenn sie sich beeilten...
Mirvish grinste und schritt weiter aus. Das Stöhnen hinter ihm war Musik in seinen Ohren. Keiner von denen würde je wieder einen Fuß auf Nova Scotia setzen.
"Was ist denn das?"
Jemand rief die Worte, doch Clarence Mirvish hörte sie trotzdem kaum. Er ging der Gruppe inzwischen über fünfzig Meter voran. Jetzt blieb er stehen und wandte sich um.
"Ein Schloss?" fragte ein anderer aus der Gruppe.
Die Blicke aller gingen schräg den Berghang hoch, wo sie sich an einem Punkt trafen. Ein kantiger Schatten wuchs dort einem unförmigen Geschwür gleich aus der felsigen Flanke.
"Kilchrenan Castle!" rief Mirvish, während er ein paar Schritte zurücklief. "Ein schottischer Earl hat es vor fast zweihundert Jahren nach dem Vorbild seines Familiensitzes hier bauen lassen. Aber damit hat er das Vermögen seiner Familie vermutlich so arg geschröpft, dass die Sippschaft alsbald am Hungertuch nagte. In jedem Fall steht der Kasten seit Jahrzehnten leer."
Einen Moment lang herrschte Schweigen; nur der raue Wind pfiff über die Felsen. Dann sagte einer: "Da scheinen Sie aber nicht richtig informiert zu sein, Mr. Mirvish."
"Wie?"
Clarence Mirvish wandte den Kopf und sah hinauf zu dem trutzigen Gebäude, in dem all das vereinigt schien, was Architekten zur damaligen Zeit an schlechten Ideen mit sich herumgetragen hatten.
Mirvish hatte Kilchrenan Castle schon immer für ein ausgesprochen unansehnliches Bauwerk gehalten. Doch tief in sich wusste er, dass es mehr als nur das war. Doch seine wahren Vorbehalte erlaubte er sich nicht einmal sich selbst gegenüber in Worte zu fassen.
Jedenfalls war es bisher so gewesen. Jetzt änderte sich das.
Im schwarzwattigen Zwielicht schimmerten dort drüben plötzlich gelblichweiße Lichter. Und Clarence Mirvish fühlte sich von ihnen angestarrt wie von den Augen eines Dämons.
"Da scheint doch jemand zu wohnen", meinte jemand.
"Scheint so", murmelte Mirvish. Er bezweifelte, dass auch nur einer der Fremden sah, was er sah. Seine Augen konnten fast mit denen eines Adlers konkurrieren, und auch bei den herrschenden Sichtverhältnissen sah er noch sehr
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