BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
ging er an dem Karren entlang bis zum hinteren Ende, griff nach der Plane und schlug sie ein Stück zur Seite, die Hellebarde so im Griff, dass die Spitze ins Innere des Karrens wies. Nur für den Fall, dass dort mehr von der Sorte des Alten lauerten...
Aber von keinem derer, die sich unter der Plane befanden, drohte mehr Gefahr.
Dennoch entwich dem Soldaten ein entsetztes Keuchen.
Freilich hatte er dem Tod schon oft ins Auge gesehen. Aber selten zuvor solcherart unvermittelt.
Vier Tote lagen da vor ihm. Vier alte Weiber, die aber gewiss nicht an Altersschwäche krepiert waren. Denn ihre Leichname wiesen schlimmste Wunden auf, und das Blut ringsum legte den Verdacht nahe, dass sie alles, dessen sie habhaft geworden waren, als Waffe genutzt hatten.
Trotzdem empfand Vaclav diesen Teil des Szenarios nicht als den schlimmsten.
Um einiges furchteinflößender schien ihm jene, die inmitten der Leichen hockte. Nackt, bleich und teilnahmslos, als ginge sie das Grauen um sie her nichts an – oder so, als nähme sie es gar nicht wahr.
Und vielleicht tat sie das auch nicht. Denn Vaclav schien es, als wäre sie gar nicht Teil dieser Welt. Wie ein Gespenst kam sie ihm einen Moment lang vor. Weil er glaubte, durch sie hindurchsehen zu können...
"Rühr dich nicht von der Stelle", stammelte Vaclav tonlos.
Hastig wandte er sich dann ab, rannte zum Stadttor hin, um Alarm zu schlagen.
Er hatte es noch nicht getan, als hinter ihm markerschütternde Schreie laut wurden, wie er sie nie zuvor gehört hatte.
Und, so betete er, hoffentlich nie mehr würde hören müssen...
Tage danach, Prag im Mai 1618
Es gab Tage, da wusste Justus nicht, wohin mit seiner Schüchternheit – und ein anderes Mal sprühte er förmlich vor Erlebnishunger – der Sehnsucht nach neuen Erfahrungen und neuen Dingen, die es
hier
zuhauf zu bestaunen gab.
Laute Mönchsgesänge hatten ihn, obwohl eigentlich noch müde von der langen Kutschfahrt, auf einen der Höfe gelockt. Obwohl Justus sich mitunter nicht schlüssig war, ob er tatsächlich ein frommer oder nur ein
frömmelnder
Jüngling war, hatte ihn die Hoffnung auf eine Andacht aus seiner gerade erst bezogenen Unterkunft getrieben.
Schon die Reise hierher war so voller Eindrücke gewesen, dass er seine widerstreitenden Gefühle kaum ordnen konnte. Ein wenig innere Einkehr konnte nicht schaden, zumal er sich unter Mönchen mit keinem falschen Schein zu umgeben brauchte. Niemand würde einen anderen in ihm zu sehen erwarten als den, der er tatsächlich war!
Justus seufzte.
Über die Turmstiegen erreichte er den Innenhof, auf dem der obligate Brunnen... aber auch noch etwas nicht gar so Übliches zu finden war: Ein gewaltiges Feuer leckte zur frühen Abendstunde über ein nachlässig gezimmertes Gerüst, auf dem der Torso einer enthaupteten Frau aufgebahrt lag!
Um eine herkömmliche Bestattung handelte es sich keinesfalls. Solcherart verfuhr man nur mit Menschen, die selbst im Tode noch für begangene Untaten gestraft werden sollten!
Die Neugierde trieb Justus näher an das Geschehen heran, obgleich der Anblick der kopflosen Frauenleiche ihm den Magen anheben wollte.
"Verschwinde!“, fauchte ihn unvermittelt von hinten eine barsche Stimme an.
Als er sich umdrehte, sah Justus ins Gesicht eines Burgsoldaten, dem es nicht einmal über die Uniform gelang, Vertrauen zu wecken. Im Gegenteil: Justus war selten einem Menschen begegnet, dessen Blicke ihn dermaßen abgestoßen hatten. Trotzdem fasste er sich ein Herz und fragte: "Wer ist sie? Warum wird sie verbrannt?"
Der Gefragte bleckte die schwärzlichen Zähne zu einem gemeinen Grinsen. "Es gefällt dir, das man sie
nackt
einäschert, hab' ich recht? Dir steht die Wollust um die Nase geschrieben! Hast du es schon mal mit einer Leiche getrieben? Die hier würde dir tüchtig einheizen... Steig nur hoch zu ihr! Schnell; die Pfaffen, so sie ihre Arbeit ernst nehmen, werden ihre Blicke nicht zu ihr erheben. Sie beten nur für die arme Seele, die doch längst zur Hölle hinabgefahren ist!"
Justus wurde vollends schlecht. Angewidert kehrte er dem Soldaten den Rücken zu. Die Flammen, die eben erst am Gerüst zu nagen begonnen hatten, umtanzten nun bereits den Torso, dessen Blässe auf das ihm entwichene Blut zurückzuführen sein musste. Und trotzdem...
... war sie
engelsschön!
Nicht einmal die Vampirin in Dresden hatte einen Körper wie diese Frau hier ihr eigen genannt! Die Proportionen lenkten kurzzeitig sogar von dem Makel des fehlenden
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