BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
Wiesen und durch Wälder gelaufen bin. Zeit ist ein Begriff, dessen Bedeutung mir zwar noch geläufig ist, aber für mich ist sie erloschen. Das mag der Preis dafür sein, wenn man einmal geschaut hat, was ich geschaut habe. Und der Gedanke daran schürt jenes dunkle Gefühl in mir, das mir allmächtig fast scheint. So stark, dass kein anderes neben ihm Platz hat. Etwas wie Wut, weil mir entgangen ist, was schon zum Greifen nahe war; und Hass auf jene, deren Tat dies alles in Gang setzte...
Irgendwann spürte ich das Nahen von Menschen und erwartete sie. Die Begegnung war kurz – und schmerzhaft.
Und nun erwache ich von neuem.
In fremder Umgebung. Alles um mich her scheint in Bewegung, voller Geräusche, leisem Donner gleich. Gesichter hängen wie schwebend über mir, sehen auf mich herab. Müde und bleich sind sie – aber nur so lange, bis mein Blick sie trifft.
Sie weichen zurück, ein wenig nur, als erschrecke sie etwas, dessen sie erst jetzt ansichtig werden, da mein Blick den ihren trifft. Ihre Lippen bewegen sich, gebären Laute, die mir fremd und unverständlich sind. Ich wünschte, ich könnte sie verstehen, denn ich weiß, dass Antworten auf meine Fragen darin lägen.
Wie gern würde zu ihnen sprechen.
Ich versuche es.
Doch es misslingt auch diesmal.
Wieder bringe ich nur jene schrecklichen Schreie zuwege, die mir selbst in den Ohren schmerzen. Schreie, die mehr sind als sinnloses Gebrüll – Ausdruck meiner tiefen Verzweiflung.
Verzweiflung und Wut über mein unfertiges, fremdartiges Dasein.
Doch beides entlädt sich in diesen Schreien. Sie erleichtern mich, leiten meinen Zorn fort aus mir und zu anderen hin.
Bis meine Kraft zum Schreien versiegt, meine Lider sich schließen und Schwärze mich umfängt, erholsamer und regenerierender Schlaf mich gefangen nimmt.
"Bei allen Heiligen, was war das?"
Petrina nahm die Hände von den Ohren. Sie hatte versucht, sich vor den schmerzenden Schreien der Fremden zu schützen, doch es hatte wenig genutzt. Den anderen dreien war es nicht anders ergangen, wie sie in ihren bleichen Gesichtern lesen konnte. Das Entsetzen hatte neben der Erschöpfung, verursacht durch die lange, beschwerliche Reise, tiefe Spuren hineingegraben.
"Ich weiß es nicht", flüsterte Rela tonlos.
"Aber es war grauenhaft", fügte Yvi hinzu.
"Was kann einen Menschen veranlassen, solcherart zu schreien?“, fragte Jana atemlos. Die Vorstellung des Grauens, das dahinterstecken musste, ließ sie schaudern wie in der Kälte des eisigsten Winters.
Der Karren wurde ein wenig langsamer. Karels Stimme brüllte von vorne: "Verdammt, was geht da hinten vor?"
"Nichts!“, rief Petrina eilig zurück. "Es ist schon gut."
"Das will ich euch raten. Hüah!“, Karel trieb den Gaul unbarmherzig voran.
Eine Weile herrschte Stille auf dem Karren, sah man vom Knarren und Knirschen des Holzes ab. Schweigend sahen die vier Mädchen auf die Nackte hinab, deren Schreie so plötzlich abgebrochen waren, wie sie begonnen hatten. Sie hatte die Augen wieder geschlossen und erweckte ganz den Eindruck einer Schlafenden. Aber die Ruhe schien den Mädchen trügerisch, von einer Art, die größeren Schrecken in sich bergen konnte, als sie ihn sich vorzustellen vermochten. Und etwas, ein Hauch dieses Schreckens, schien wie greifbar zwischen ihnen zu liegen. Für eine Weile jedenfalls. Dann versickerte er. Aber nicht dorthin, woher er gekommen war...
Etwas Kaltes, das über das körperlich wahrnehmbare Maß von Kälte hinausging, floss in die vier Mädchen. Auf Wegen und durch Kanäle, von deren Existenz sie nie etwas geahnt haben mochten. Und es floss dorthin, wo sich alles Dunkle, das je in ihrem Denken und Empfinden gewesen war, abgesetzt hatte wie stinkender Bodensatz. Unsichtbar rührte etwas darin, rührte
auf
, was sich dort niedergelegt hatte. Schleichend wie Gift stieg es auf und mengte sich in ihre Gedanken. Machte Harmloses zu Üblem, ließ vage Furcht zu Panik werden, und Unbehagen schließlich zu Zorn.
Zu Zorn, der sich entlud.
In mörderischer Gewalt.
Kräfte verströmten, wenn auch nicht ziellos.
Bis dass der Tod seine Ernte einbringen konnte.
Vaclav langweilte sich schier zu Tode. Die Größe seiner Aufgabe rührte ihn nicht. Weil sie nur von scheinbarer Größe war. Prag, seine Stadt, sollte er vor unbefugtem Zutritt schützen. Doch der Befehl war kaum das Papier wert, auf dem er geschrieben stand. Ganz abgesehen davon, dass er, Vaclav, ihn nicht einmal lesen
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