Bad Dad

Potter" Band, wäre ich schon erleichtert. Allerdings würde sich dann vermutlich recht schnell herausstellen, dass die Leser eben jener, vergleichsweise hochwertigen Qualitätslektüre, die Kinder sind. 

    In meiner und allen anderen Familien, die ich kenne, sind die Kinder gesund, wohl behütet und in ein Bildungssystem eingebunden, das besser ist als alles, was wir je zur Verfügung hatten. Nie war die medizinische Versorgung besser, das Autofahren sicherer, das Selbstgekochte gesünder. Der neue Erziehungswahnsinn ist eine Hysterie der letzten fünf Prozent. 95 Prozent des Heranwachsens ist in unseren Breiten dermassen organisiert und optimiert, dass wir gerade in Anbetracht der restlichen (kranken, hungernden, ungebildeten) Weltbevölkerung zumindest einmal in der Woche auf die Knie fallen und der Naturwissenschaft sowie der Sozialforschung danksagen sollten.  
    Stattdessen konsumieren wir - die bekennenden Konsumgegner - wie die Vollidioten Lebenshilfe Lektüre, ruinieren das Haushaltsbudget mit überteuerten Bio bzw. Gen-Frei Produkten (...als ob mir jetzt jemand in einem kohärenten Satz schlüssig erklären könnte, was denn nun tatsächlich ein GEN ist und wie genau es die Gesundheit gefährdet. Glauben zu wissen, ist nicht gleich Wissen), Öko Klamotten aus ägyptischem Naturleinen und nicht zu vergessen, spirituelle Healing- und Persönlichkeitsfindungs Workshops. Heute scheint ausserdem kaum mehr eine Lebensgemeinschaft ohne Imago und/oder Familienaufstellung überlebensfähig zu sein, nicht wahr? 
    Ich zumindest kenne keinen, nicht einen einzigen Ehemann bzw. Lebensgefährten in meinem Umfeld, der sich nicht entweder sofort zu dem von mir beklagten Lifestyle bekennen würde, oder - und das ist der mir geläufigere Fall - die Schnauze voll davon hat und acht Stunden in der Woche weniger an seinem Burnout arbeiten könnte, wäre da nicht der ganze oben aufgelistete Scheiss zu finanzieren. Wie gesagt, es ist ein Wohlstandswahnsinn der letzten fünf Prozent. Der Rest passt schon, so wie er ist. Aber um das noch sehen zu können, dafür geht's uns doch viel zu gut. 

    Wie's so schön heisst, Perfektion ist der Todfeind von Gut. - Nachdem auch ich neuerdings als Vater und Brötchenbringer bzw. -schmierer in dieser Lifestyle Konsumspirale mitgefangen bin, überlege ich mir immer öfter, vom vernünftigen Widerstand in den Opportunismus zu wechseln und den nächsten Kindererziehungs- oder "Wunsch ans Universum" Bestseller zu schreiben. Denn das bedarf keines grossen Könnens, solange man das Eso Vokabular im Griff hat. Wiederlegen kann einen keiner, das geht ja nur bei Texten, die sich mit Wahrheit und Realität befassen. Wer Glauben verkauft, braucht nur Marketingtalent und Kaltblütigkeit. Vielleicht schreibe ich ja was über die "Kraft der Gravitation: Erd-Liegen für Einsteiger". Hey, Nordic Walking hat schliesslich auch funktioniert.
    Oder vielleicht ziehe ich doch noch mal mein Projekt mit den gemahlenen Steinen durch, sowohl als Nahrungsergänzung als auch als Diät-Buch: "Felsenstaub - Energie & Kraft durch Mutter Erde". Klingt nach einem Mega Seller. Einen hab ich noch. "Krank durch Wissen - Gesünder glauben für werdende Mütter". Vielleicht hat ja da gerade der eine oder andere meiner Leser gelacht, aber ich wette, wenn ich verschweisste Attrappen von den drei Titeln in einer der Riesenbuchhandlungen aufstellen könnte, wären die am Ende der Woche weg.  
    So, jetzt aber genug gemeckert, ich muss kurz nachsehen, ob der Klodeckel auch tatsächlich unten ist, sonst entschwindet mir noch der Wohlstand durch die Toilette! Und wer das jetzt nicht verstanden hat, der kann sich glücklich schätzen.

38. TAG: FOR DUMMIES

    Das Baby hat sich gerade bei mir ausgeschrien und dann wortlos verabschiedet. Jetzt entleert es im Zimmer nebenan die linke Mutterbrust. Nur schwer gewöhne ich mich an die alternierend unsymmetrische Oberweite. Links ein A-Cup, rechts ein Doppel-D. Das sieht doch nicht aus. Aber gut, wirklich viel kann man dagegen nicht machen. Mich ärgert nur, dass das in keinem einzigen Baby-Ratgeber, von denen ein beachtlicher Turm auf dem Nachttisch meiner Frau zur Decke rankt, Erwähnung findet. Typisch. Nach meiner gestrigen Wutrede über esoterische Schundlektüre wundert es mich, dass ich das Thema scheinbar immer noch nicht aus meinem System gespült habe. Da sitze ich nun wieder und grüble, zerbreche mir den Kopf über "Selbsthilfe" Bücher, diesmal auf unserem Balkon. Naja, Balkon