Bad Dad
ist vielleicht übertrieben, meine Schultern berühren die Wände links und rechts. Ich sitze hier also nackt bis auf die Unterhose und sonne mich auf einem Camping-Schemel inmitten von 0,7 Quadratmeter Plastikrasen. Aus Platzgründen muss ich aufstehen, um mich umzudrehen, schliesslich soll ja auch meine Vorderseite gebräunt werden. Mein Ding hängt aus der Boxershort, die Nachbarn werden sich freuen.
Unser Freiluftsolarium, 20 Minuten Sonne pro Tag, irgendwann zwischen Mittag und ein Uhr. Wind geht hier keiner. Meine Oberschenkel pulsieren vom vormittäglichen Sprint. Mit Zeige- und Mittelfingern quetsche ich meinen Bauch in Form eines labberigen Six-Packs zusammen. Speck-Origami am Waschbärbauch. Schweiss tropft mir aus dem Schritt. Kein schöner Anblick, aber es sieht mich ja niemand; so hoffe ich zumindest. Und wenn doch wer spechtelt, dann ist er selber schuld.
Kurz zuvor stand ich auf der Waage, natürlich habe ich zugenommen. Wasser lagert sich in längst totgeglaubten Muskelpartien ein. Gut so, let the fat-burning begin! Der selbst gemachte Smoothie rumort in meinem Magen. Ich kriege immer Sodbrennen von dem gesunden Scheiss. Vielleicht hätte ich auch nicht gleich den ganzen Liter trinken sollen. - Selbsthilfebücher, das Milliardengeschäft mit heisser Luft. Da könnte ich ordentlich Kohle scheffeln und zwar ganz ohne schlechtes Gewissen. Schliesslich wissen die selbsternannten Schlaumeier ja alle nicht, wovon sie reden. Nehmen wir mal Diätbücher als Beispiel. Angenommen da hätte mal eins tatsächlich geholfen, warum kommen dann immer wieder hundert neue pro Jahr raus? Die Idee vom Abnehmen ist halt so viel attraktiver, als es dann tatsächlich zu tun und da beginnt die Bauernfängerei.
Wir kaufen das Buch und ignorieren, zuhause angekommen, ganz konsequent die 300 hübschen Seiten voller Text, weil es 1. nicht so kompliziert ist, wie's da drinnen steht und wir das 2. auch genau wissen. Und aus genau der Überlegung kam mir eine Idee: Wenn das "Mehr Desselben" nix bringt, warum nicht mal mit radikalem Minimalismus antanzen? Eben.
Folglich kann ich jetzt auch schon, nach nur ein paar Stunden Schreibarbeit, mit gleich mehreren fertigen Büchern zu diversen Lebensproblemen aufwarten. Einen Verleger suche ich derzeit noch, allerdings möchte ich im Folgenden - ganz exklusiv und gratis nur für meine lieben Tagebuchleser - alle Komplettausgaben meiner Werke veröffentlichen. Dabei sei noch kurz erwähnt, dass jedes meiner Self-Help Bücher jeweils nur aus dem Buchumschlag und einer einzigen Seite Text besteht. Die Serie nennt sich ONEPAGE Books.
ONEPAGE Books: Abnehmen!
"Iss weniger Mist und beweg deinen Arsch."
ONEPAGE Books: Schuldenfrei!
"Gib nicht mehr Geld aus, als du hast."
ONEPAGE Books: Krebs!
"Du hast ihn nicht. Das Ding auf deinem Fuss ist ein Hühnerauge. Es gibt keinen Fersenkrebs."
ONEPAGE Books: Glückliche Kinder!
"Verbringe Zeit mit den Kindern, mit deiner Brieftasche lässt sich schlecht knuddeln."
ONEPAGE Books: Guter Sex!
"Sag was du willst. Frag was er/sie will und mach es."
ONEPAGE Books: Facebook für Superprofis!
"Du bist einsam. Echte Menschen aus Fleisch und Blut können dich in den Arm nehmen und wollen vielleicht sogar gratis Sex mit dir haben."
ONEPAGE Books: Babies!
"Babys weinen, weil sie hungrig sind oder etwas weh tut. Es ist nicht schwierig, das zu verstehen."
ONEPAGE Books: Weltruhm!
"Während du dieses Buch über das Berühmtwerden liest, machen andere Menschen Dinge, die die Welt beeindrucken und verändern. Du gehörst nicht zu diesen Menschen."
ONEPAGE Books: Ja, ich kann!
"Nein, du kannst nicht, sonst würdest du es tun."
ONEPAGE Books: Männer verstehen!
"Was bist du, vierzehn?"
ONEPAGE Books: Frauen verstehen!
"Eine Frau hat dir dieses Buch geschenkt. Gib es im Buchladen zurück und kaufe ihr mit dem Geld einen Strauss Blumen."
39. TAG: HEUTE GIBT'S WAS AUF DIE OHREN
Musikschrapnell zerfetzt die kühle Samstagmorgenluft. Mein gerötetes linkes Auge öffnet sich knirschend; Sandpapier auf Cocktailkirsche. Laute Marschmusik bringt das Schlafzimmerfenster zum Vibrieren. Verdammt, die Blechbläser blasen sich wieder mal die Lippen wund. Das passiert nämlich so drei- bis viermal im Jahr unten am Siebenbrunnen Platz. Üblicherweise dann, wenn eine Partei beschliesst, dass es wieder an der Zeit ist, Kugelschreiber unter's Volk zu bringen, oder auch an Feiertagen, von denen ich meistens nicht mal weiss, dass es sie gibt, bis mir
Weitere Kostenlose Bücher