Bad Dad
wenig, insgeheim hoffe ich, dass sie noch mehr Wein trinkt. Daniel schiebt sich ein zweites Lachsbrötchen ins Gesicht. Mein Magen knurrt, aber ich esse nichts, denn ich will nicht vor Herrn Chmelar, Österreichs Dancing Star der Stunde, auf den Tisch kotzen.
Man hat uns in ein schwarze Lagerhalle eskortiert. Wir werden nicht im Hauptstudio aufgezeichnet. Das Set wäre zu gross. Ein knallroter Tisch dient als improvisierte Eye Gazing Requisite. Ich bin nicht glücklich mit der Entscheidung, die Teilnehmer stehen viel zu weit auseinander. Daniel schwitzt wie ein Tier und Andi schafft es, selbst durch die bräunliche Spachtelmasse, aschfahl zu wirken. Hinter mir zählt eine grosse, weisse Digitaluhr unerbittlich den Countdown runter. Ich scheiss mich an. - Fünf Minuten noch.
Regieanweisungen donnern herrgottgleich aus unsichtbaren Lautsprechern. Ich verfange mich im Kabel der SteadiCam und stolpere, so gut ich kann, aus dem Weg. - Drei Minuten noch! Die Barbara Stöckl kommt, die Moderatorin des Abends. Fesch ist sie, in ihrem roten Kleidchen und den 15 cm Pumps: "Stöckl Schuhe" sozusagen. Ich verkneife mir ein hysterisches Aufgackern.
Die Crew geht in Position und es fällt mir wie Make-up Schuppen von den Augenlidern: Irgendjemand drückt da jetzt in 60 Sekunden auf einen Knopf und aus unserer vollkommen unwirklichen Situation wird in über einer halben Million Haushalten plötzlich Fernsehrealität. Ich bereue meine Entscheidung bitterlich.
Die gute Barbara moderiert die Sendung an. Eye Gazing (der von mir nach Europa importierte, neue Speed Dating Trend) ist der Opener. Sie macht das super professionell, ein alter Hase eben. Ich bin, gottlob, nicht im Bild, momentan muss keiner von uns reden. Das kommt später. Die Eye Gazer beginnen ihr Speed Dating und Frau Stöckl verschwindet eilig ins andere Studio. Da stehe ich nun, mit meinen Pärchen und meiner Stoppuhr. Alle zwei Minuten wechseln die Herren die Partnerin. In weniger als 10 Minuten wird die Moderatorin in unsere Halle zurück stelzen und uns ausfratscheln. Die Gruppe ist jetzt fertig, gleich wird's ernst. - Zwei Minuten.
Meine Kehle ist völlig speichelfrei. Gutartige Rachenbakterien verenden Scharenweise. Panik steigt in mir auf, meine Zunge löst sich nicht mehr vom Gaumen. Ich treffe eine gewagte Entscheidung und stürze in den verbleibenden 90 Sekunden auf den kleinen Beistelltisch zu, auf dem das Wasser steht. Ich trinke ein Glas Mineral, jetzt geht's wieder.
Ich begebe mich wie befohlen am roten Tisch in Position und bete, angesichts des Kohlensäure-Blubberns in meinem Bauch, dass das erste Wort aus meinem Mund nicht "bröööargh" ist. Vorsichtshalber rülpse ich deshalb noch diskret in meinen Sakkoärmel.
Die SteadiCam flitzt an mir vorbei, hintendrein die Stöckl. Es gibt kein Zurück mehr. Die Moderatorin - in Wirklichkeit wahrscheinlich nur 150 gross - türmt mit ihren High Heels über mir und rammt mir ein Mikro an die Stirn. Ich glaube, sie hat mich was gefragt. Ich antworte Dinge, an die ich mich heute nicht mehr erinnern kann. Hinter mir steht Dani mit seinen zwei Meter fünfzig: Gandalf und Frodo.
Ich verfluche die Regie.
Mittlerweile hat man mir, so scheint es, eine zweite Frage gestellt. Ich weiss nicht, was die richtige Antwort ist. Noch ist es nicht zu spät davonzulaufen, denke ich mir, doch dann kommen Worte aus mir raus und bevor ich noch den Punkt am Ende des Satzes mache, ist die Moderatorin auch schon weg. Ein Assistent zieht mich von hinten am Hemdkragen aus dem Bild. Ich stelle mich leise in eine Ecke. Jetzt sind die beiden anderen dran. Andrea brilliert mit fast manischem Enthusiasmus, Daniel mit seinen Schweissperlen. Aber auch er wirkt seriös, kompetent und alles andere als auf den Mund gefallen. Barbara Stöckl beginnt die Abmoderation, wir haben's überlebt.
Mit einem Taxi fahren wir heim zu mir, wo der Sohnemann vor dem Fernseher schon auf mich wartet. Zugegeben, ich hätte natürlich lieber noch im ORF-Zentrum Autogramme auf Brüste von kreischenden Fans geschrieben und dabei nonchalant gelächelt.
Im Wohnzimmer sitzen wir - noch nicht ganz besoffen - vor dem Flachbildschirm und sehen uns die Aufzeichnung in HD an. Plötzlich macht die Schminke Sinn. Wir sehen gut aus und mit gut meine ich normal. Keine geröteten Pickel, keine schwarzen Ringe unter den Augen. Danke Pudertante!
Sich selbst sprechen zu hören, ist brutal wenn man's nicht gewohnt ist und so genieren wir uns abwechselnd, trotz
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