Bad Moon Rising
Abschriften.«
»Und?«
Cloquet schüttelte langsam den Kopf. »Ich habe es nicht verstanden. Das waren alles … devinettes … Rätsel. Dazu Mathematik und Astronomie. Soll einem irgendwie die Zeiten und Orte seiner Wiederkehr verraten.«
»Und Jacqueline wusste diesmal von Ort und Zeit?«
»Das Datum ist kein Geheimnis. Eine Mondfinsternis au solstice d’hiver hat es seit 1638 nicht mehr gegeben. Remshi selbst taucht schon vorher auf. Wo, durften nur die Priester wissen. Sie sollten es bis zum letzten Augenblick geheim halten, für den Fall, dass … für den Fall, dass jemand etwas unternimmt. Aber sie hat einen Weg gefunden.« Er lachte humorlos. »Sie findet immer einen Weg.«
Wieder diese Bilder: Lorcan auf dem Altar, Jacqueline nackt und mit offenem Mund, Jake kniet und leckt sie. Mir ging auf, dass ich bis zu diesem Augenblick ihr gegenüber keinerlei Gefühle gehegt hatte. Sie war ein Hindernis gewesen, das aus dem Weg zu räumen war, keine Person, die ich mögen oder hassen musste. Nun, im Nachhall zu ›Sie findet immer einen Weg‹, wusste ich, dass ich sie töten wollte. Ich wollte ihr ins Gesicht schauen, sie wissen lassen, dass ich den Augenblick genoss, und sie dann töten. Das würde mir tiefe, fundamentale Befriedigung bereiten. Eine kleine, deutliche Freude, das zu wissen, so als sei mir ein Dorn im Fuß, mit dem ich mich schon abgefunden hatte, plötzlich entfernt worden.
»Tut mir leid, aber mehr weiß ich nicht«, musste Cloquet einräumen. »Damals fand ich die ganze Angelegenheit lächerlich.«
Ich fand sie ebenfalls lächerlich, aber das hieß ja nicht, dass mein Sohn nicht geopfert werden sollte. ›Wenn er das Blut eines gammou-jhi trinkt.‹ Der Satz machte mich verrückt, er erschöpfte mich. Verrückt, weil es kitschig war, willkürlich und dumm, erschöpft, weil es auch nicht kitschiger war, willkürlicher und dümmer, als sich bei jedem Vollmond in ein zwei Meter fünfundsiebzig großes Ungeheuer zu verwandeln, jemanden in Stücke zu reißen und ihn zu fressen. Wer war ich denn, so etwas abzutun? Vor zwei Jahren hätte ich die Wirklichkeit abgetan, die ich gerade lebte.
Trotz alldem tat ich es ab. Ich konnte nicht anders. Wenn ich mich fragte, ob ich glaubte, dass ein mehrere tausend Jahre alter Vampir Vorhersagen über seine regelmäßige Wiederkehr in den kommenden Millennien machte und dass diese Vorhersagen akkurat und erfolgreich erhalten worden waren, dann lautete die Antwort darauf: Nein, das tat ich nicht. Wenn ich mich fragte, ob Jacqueline und ihre Schüler daran glaubten, dann lautete die Antwort: Ja, das taten sie. Und Walker hatte mich darauf hingewiesen, dass das das Einzige war, was zählte, soweit es das Leben meines Sohnes betraf.
Walker.
Zwei Dinge wusste ich. Erstens: Mit ihm zu schlafen wäre eine zutiefst schlechte Idee. Zweitens: Ich würde mit ihm schlafen.
»Ich lege mich in die Badewanne«, sagte ich zu Cloquet. »Du solltest dich ausruhen.«
Er blieb einen Augenblick dort, wo er war, und starrte in das feurige Gold des Whiskeys. Dann hob er das Glas, trank den Rest aus, stellte das Glas auf die Bar und ging zur Tür. Dort blieb er stehen, drehte sich nicht um.
»Vielleicht hast du recht«, räumte er ein. »Die Entscheidung hatte nicht ich zu treffen.«
Ich antwortete nicht sofort darauf. Mein Mensch wusste, wie wenig es kosten würde, ihm ein Wort des Trostes zu spenden. Wolf war weiter beleidigt, dass sein menschlicher Freund das Gesetz in die eigenen Hände genommen hatte. Einen Augenblick bestand die Grammatik des Fluchs darauf, dass eine Dosis Leid heilsam wäre. Ich wog ab. Vor Müdigkeit flackerten die Ränder meines Gesichtsfelds. Dann erinnerte ich mich, wie Jake mir eine Geschichte von Harley erzählt hatte: Harley war mal in einer derartigen Rage aus dem Schlafzimmer eines Geliebten gestürmt, dass ihm erst auf der Straße aufgefallen war, dass er die Schuhe falsch angezogen hatte, den linken Schuh am rechten Fuß und umgekehrt. Jake hatte vor echter warmherziger Freude gelacht. Als er damit fertig war, hatte er gesagt: »Du lieber Himmel, ich wünschte, ich wäre netter zu Harley gewesen.«
»Es war falsch von dir«, sagte ich leise zu Cloquet. »Aber es war aus den richtigen Gründen falsch. Und nun geh um Himmels willen schlafen.«
21
Am folgenden Nachmittag rief ich Walker mit, wie ich dachte, schlechten Neuigkeiten an: Charlie Proctor, Jakes (und in Folge mein) Mann bei Aegis, war fort. Als ich die Nummer angerufen hatte,
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