Baedeker Reisefuehrer Toskana
Die Legende vom Schiefen Turm erzählt, dass er bei seiner Vollendung noch kerzengerade dagestanden habe. Nach Abschluss der Bauarbeiten versuchten die Stadtväter, den Baumeister um seinen Lohn zu prellen. Verärgert befahl er dem Turm, ihm zu folgen. Und tatsächlich: Zum Entsetzen aller neigte sich der Kampanile beträchtlich. Die Stadtväter bezahlten daraufhin umgehend das vereinbarte Geld, doch der enttäuschte Baumeister ließ die Stadt mit einem schiefen Turm zurück.
Nach jahrelanger Stabilisierung kann man wieder auf den Schiefen Turm und den Blick von oben auf den »Platz der Wunder« genießen.
Berühmte Baumeister
Eine Inschrift rechts vom Eingang belegt das Jahr der Grundsteinlegung: 1173. Pisa war damals zur mächtigsten Seerepublik Italiens aufgestiegen und konnte für den Bau des Kampanile die bedeutendsten Architekten und Steinmetze gewinnen. Bis zum dritten Stockwerk zeichnete Dombaumeister Bonannus gemeinsam mit Guglielmo aus Innsbruck verantwortlich. Doch schon vor der Fertigstellung begann sich der Turm nach Süden abzusenken. Als Gegengewichte auf der Nordseite und Stützmauern auf der Überhangseite wenig Erfolg zeitigten, mussten die Arbeiten eingestellt werden. Fast 100 Jahre vergingen, bevor sich erneut ein Baumeister an den Turm wagte. Giovanni di Simone setzte dem Kampanile 1272 drei weitere Stockwerke auf und versuchte, die Schieflage durch Abknicken der Turmachse zur Senkrechten hin auszugleichen. 1301 wurden die Glocken aufgehängt, 1350 – 1372 vollendete Tommaso Pisano den Marmorturm mit einem offenen Glockenstuhl.
Aus der Nähe betrachtet, ist der knapp 57 m hohe, frei stehende Glockenturm noch viel schiefer als erwartet. Der Sockel ruht auf einem künstlichen Kiesbett und misst über dem Erdboden gut 4 m. In Höhe der Loggiengeschosse vermindert sich die Wandstärke des alles tragenden Zylinders (Innenweite 7,40 m) auf 3,30 m, immer noch genug, um die 294-Stufen-Wendeltreppe in sich aufzunehmen, die bis zur obersten Plattform hinaufführt. In den mehr als acht Jahrhunderten seiner schiefen Existenz hatte sich das Wahrzeichen Pisas bis 1990 um 5 Grad und 22 Minuten aus der Senkrechten geneigt, was einer Abweichung um 4,86 m entspricht. Das Turmfundament war 2,25 m tief nach Südosten eingesunken. Bei einer geschätzten Kippbewegung von 1 mm pro Jahr wäre das Bauwerk demnach im Jahr 2000 umgefallen, nämlich dann, wenn die Zylinderachse die Nordkante durchschnitten hätte. Als Experten eine zusätzliche Drehung um die eigene Achse feststellten – von unvorhersehbaren Gefahren wie der plötzlichen Senkung des Bodens, einem Erdbeben oder einer Materialermüdung ganz zu schweigen –, wurde der aus dem Lot geratene Turm im November 1990 gesperrt, um mit einem äußerst aufwendigen Sanierungsprogramm die Einsturzgefahr zu bannen.
Nächtlich illuminiert: der Campo dei Miracoli mit dem Dom, seinem schiefen Kampanile und dem Baptisterium
Der Boden gibt nach
Ursache für die mangelnde Standhaftigkeit des Turms ist der weiche Schwemmlanduntergrund. Während die ersten 10 m durch das Gewicht von 14 450 t zu einer steinartigen Konsistenz komprimiert worden sind, lassen sich die darunterliegenden Schichten aus Lehm und Sand nur schwer kalkulieren. Je mehr Flüssigkeit die wassergetränkte Ton-Sand-Schicht enthält, desto mehr Widerstand bietet sie dem absinkenden Kampanile, weshalb seit über 20 Jahren jegliche Wasserentnahme im Umkreis von 1,5 km untersagt ist. Erste dokumentierte Sanierungseingriffe wussten davon aber wenig: So versuchte man 1839 durch Abpumpen von Grundwasser, den Boden zu stabilisieren – ein eher schädliches Unterfangen.
Als die Technik der Zementinjektion entdeckt wurde, erhielt auch der Torre Pendente 1934 und 1959 »Aufbauspritzen« , die jedoch augenscheinlich die Schieflage eher beschleunigten, da sich die Zementmassen in der Tiefe wie ein Anker an das Fundament hefteten und dieses nach unten zogen.
Vorschläge zur Lösung des Problems waren ebenso kurios wie einfallsreich. Ein Japaner schlug vor, einen zweiten Turm mit entgegengesetzter Neigung zu bauen, ein Australier wollte das Problem mit einem Stützkorsett lösen, andere Konzepte sahen gar die völlige Demontage mit späterem Wiederaufbau vor. Viel diskutiert wurde die Methode eines Dortmunder Unternehmens , das mit Hilfe von Hydraulikpressen das Bauwerk millimeterweise nach oben schieben wollte. Bereits über 300 Bauwerke im deutschen Steinkohlerevier waren mit diesem Verfahren wieder gerade gerückt
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