Bädersterben: Kriminalroman
ausstach. Sie war schlicht der einzige Gast an der Bar. In dem kleinen Schwarzen ohne Sonnenbrille wirkte sie mindestens zehn Jahre jünger als ihre vermuteten 50 Jahre.
Stuhr kam keine zwei Minuten zu spät, doch das ließ sie ihn schmerzlich spüren. »Eine Dame lässt man nicht warten, Herr Stuhr. Es ist nie zu spät zu lernen. Wenn sie noch ein wenig Nachhilfe in Benimm in Anspruch nehmen möchten, dann kann ich Ihnen diverse Adressen zukommen lassen. Sie scheinen es wirklich nötig zu haben. Doch Spaß beiseite, ich bin Ihnen ernstlich böse.« Sie drehte sich zwar von ihm weg, aber so richtig böse schien sie doch nicht zu sein.
Eigentlich wollte Stuhr an diesem Abend demonstrativ nur Mineralwasser trinken, aber letztendlich entschied er sich dafür, doch einen Gin Fizz zu bestellen, um die Stimmung zu entkrampfen. Als er das der Bartenderin mitteilte, fragte er nur der Höflichkeit halber bei seiner blonden Nachbarin nach, ob sie einen Drink mittrinken wollte. Mehr als unerwartet sagte sie zu, und deswegen setzte er sich zunächst kommentarlos neben ihr auf einen Barhocker. Es fiel Stuhr schwer, die nicht enden wollende gesprächslose Phase bis zur Anlieferung der Getränke zu überbrücken, denn sie schien ihn die ganze Zeit prüfend zu mustern. Die Präsenz dieser Frau war für ihn kaum auszuhalten.
Ungewollt trommelte er mehrfach mit den Händen kurzfristig an der Tresenkante, was seine Nachbarin mit Missachtung quittierte. Dann kamen endlich die heißersehnten Kaltgetränke, und Stuhr bediente eine erste Erwartungshaltung, indem er ihr stilvoll auf Französisch zuprostete. »A votre santé, Madame.«
Sie duckte sich überraschenderweise fast ein wenig zu mädchenhaft für ihr Alter weg, aber sie bedankte sich entsprechend. »Merci, Monsieur.« Dann prostete sie zurück und nippte am Longdrink. Nachdem sie ihn abgestellt hatte, taxierte sie ihr Gegenüber. Diesem Blick versuchte Stuhr auszuweichen, indem er schnell einen zweiten tiefen Schluck von seinem Getränk nahm, denn schließlich war dies keine Hengstparade.
»Stuhr. So lassen Sie sich doch nennen, richtig? Warum haben Sie Ihren ehemaligen Kollegen Dreesen heute Mittag so gekränkt? Ich fand das richtig schäbig. Haben Sie eine Erklärung für Ihr Verhalten?« Die Blondine sah ihn gespannt an.
Stuhr blieb gelassen. »So, Dreesen fühlt sich also gekränkt. Was haben Sie denn noch über mich erfahren? Uralte Märchen von Oberamtsrat Dreesen, der Urgestalt deutscher Verwaltungskunst?«
Die Blondine schien tatsächlich eine Entschuldigung erwartet zu haben, denn sie drehte sich wieder deutlich verunsichert zum Bartresen hin. Stuhr orderte noch zwei Drinks nach, was bei seinem blonden Gegenüber zunächst auf Widerstand stieß. »Herr Stuhr, warum machen Sie das? Denken Sie etwa, ich bin Freiwild?«
Stuhr antwortete nicht, denn ihm war klar, dass eine blonde Frau wie sie sich an jeder Bar der Welt gejagt fühlen musste. Ihm war ihre Haarfarbe egal, er versuchte, mehr in die Herzen zu schauen. Sie schien immer noch auf einer Erklärung zu bestehen. So nahm Stuhr seinen gesamten Mut zusammen. »Vielleicht war ich heute Mittag ein wenig eifersüchtig.«
Sie verdrehte ungläubig die Augen. »Eifersüchtig? Auf Dreesen?«
Stuhr antwortet nicht. Ja, genau das war er wohl. Ihn hatte schon geärgert, dass er nie eine Frau wie die Rasmussen kennengelernt hatte. Jetzt hatte plötzlich auch noch die graue Maus Dreesen seine Pfoten an der Blondine. Da konnte doch schon einmal die Wut in einem hochsteigen. Er sah seine Terrassennachbarin skeptisch an. Bei ihr würde es sicherlich noch ein langer und dorniger Weg werden.
Doch er irrte sich. Unerwartet hielt sie ihm ihr halb leeres Glas entgegen und stieß mit ihm an. »Du bist ein großer Mann, Stuhr. Ich mag das. Natürlich habe ich auch einen Namen. Ich bin die Jeanette, alter hanseatischer Geldadel.«
Stuhr war beeindruckt von diesem Vornamen, der dieser eleganten Frau mit den klassischen Gesichtszügen gerecht wurde. Er war froh, dass die neuen Getränke gereicht wurden. Seinen Vornamen liebte er nicht sonderlich, aber jetzt schien er angebracht zu sein. Er reichte ihr eines der neuen Getränke und prostete ihr zu. »Also gut. Ich bin der Helge.«
Sie lächelte zurück. »Prost, Helge. Freunde dürfen Jenny zu mir sagen.«
Stuhr blieb skeptisch. »Was hat denn Dreesen zu dir gesagt?«
Sie gluckste. »Na, was wohl? Natürlich Jeanette und Sie.«
Stuhr biss sich wütend auf die Zunge. Da war wohl
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