Bädersterben: Kriminalroman
seine Fantasie mit ihm durchgegangen. Er sollte sich bei ihr entschuldigen. Förmlich hob er sein Glas. »Tut mir leid wegen heute Mittag, Jenny. Ist nicht meine Art sonst. Na Sdorowje.«
Der russische Trinkspruch ließ Jenny aufhorchen. »Bist du auch ein Investor, Helge?«
Stuhr versuchte, sein Frührentnerdasein in die bestmöglichen Worte zu kleiden. »Nein, Jenny, genau genommen bin ich eine Art Freelancer. Ein Mann für alle Fälle und insofern unternehmerisch tätig.«
Jenny prostete ihm mit einem tiefen Blick in seine Augen zurück. »Helge, ich liebe Männer, die etwas unternehmen. Mein erster Mann hat in den Achtzigern jede Menge Beton in den Himmel gestapelt. Er war allerdings so verliebt in das Baugewerbe und Geldverdienen, dass ich mir damals notgedrungen einen anderen Mann suchen musste.«
Stuhr blieb charmant. »Das muss doch ein tolles Leben gewesen sein, geldmäßig so von oben herunter.« Er prostete ihr zu.
Sie lachte ihn aus und griff zu ihrem Drink. »Das war kein tolles Schicksal als das Anhängsel eines Investitionsgenies. Er war zwar intelligent, und ehrlich war er meistens auch, aber in seinen Adern floss nur Beton. Wie man eine Frau richtig streichelt, dieses Wissen war ihm leider nicht vergönnt. Seine Betonbauten zieren dagegen heute noch viele Bahnhofsviertel Deutschlands. Gelitten habe ich nicht unter ihm, aber außer Geld hat er mir auch nichts gegeben. Schade, und irgendwann wurde er mir zu ältlich. Ich mag das nicht.«
Stuhr zog sofort seinen kleinen Bauchansatz ein und setzte sich aufrecht hin. »Niemand wird jünger.«
Sie tätschelte ihm lachend vorsichtig den Bauch. »Für mich musst du dich nicht verstellen. Ich habe dich in den letzten Tagen genau beobachtet. Atme einfach wieder entspannt aus, du bist schon in Ordnung so.« Sie drehte sich um und bestellte zwei Drinks auf ihre Kosten.
Schön sah sie aus, wenn sie so entspannt war. Ihre Entspannung wich allerdings schnell, als sie ihm tief in die Augen schaute. Dafür nahm seine Anspannung zu. Er flüchtete sich zum letzten Gesprächsfetzen zurück. »Was heißt das, du hast einen richtigen Mann gesucht? Warum hast du die Fronten gewechselt?«
Glücklich wirkte Jenny jetzt nicht, aber sie berichtete detailliert von ihrer Scheidung. Ihrem alten Ehemann musste es das Herz gebrochen haben, aber sie wollte zum Schluss nur noch weg. Nach ihren plastischen Schilderungen kam sie anscheinend jedoch vom Regen in die Traufe. »Helge, du glaubst es nicht. Auf einmal liebt dich einer von oben bis unten mit Haut und Haaren. Er hatte alles, obwohl er ein Emporkömmling war. Stil, Anstand und Eleganz. Ständig hielt er mir die Türen auf und ging auf dem Bürgersteig immer auf der richtigen Seite. So war ich zunächst schwer verliebt und besaß irgendwann einen neuen Nachnamen. Aber als die große Liebe vorbei war, habe ich feststellen müssen, dass er genau wie mein erster Mann nur hinter dem Geldverdienen her war, und das waren teilweise auch noch windige Geschäfte. Immer schneller bröckelte die Liebe, und am Ende waren nur noch Hass und Abscheu. Ich habe die Scheidung eingereicht und mich entschieden, nicht wieder zu heiraten.«
Stuhr prostete ihr zu. Die Geschichten im Leben schienen allesamt austauschbar zu sein. War es denn bei ihm viel anders gewesen mit dem ganzen Hin und Her? Er war immer schwer verliebt gewesen, doch jedes Mal ahnte er ab einem gewissen Zeitpunkt, dass es nicht für die Ewigkeit halten würde. Er hatte immer versucht, seine Beziehungen aufrecht zu erhalten, doch dafür war er mehrfach gnadenlos abgestraft worden. Nein, so ging es ihm eigentlich besser. Interessiert bohrte er bei seiner Zimmernachbarin nach. »Was hat sich denn für dich durch Scheidung und Partnerwechsel verändert, wenn ich fragen darf?«
Sie war jetzt leicht angeschickert und stieß ihn mit beiden Händen entrüstet an die Brust. »Mein Nachname natürlich. Auf einmal war ich nicht mehr Frau Dr. h.c. Richard Heidenreich, sondern Frau Dieter Duckstein.«
Stuhr blieb fast das Herz stehen. Das konnte doch nicht sein. Heidenreich, war das nicht der Name des Gönners auf dem vergilbten Mannschaftsfoto im Sportheim am Ravensberg gewesen? Und Duckstein? Sie war doch mindestens einen halben Kopf größer als er, doch Jenny zerschmetterte jegliche Hoffnung in ihm.
»Er war genauso knallhart wie Richard, und im Gegensatz zu ihm ergötzte er sich daran, als kleiner Mann mit mir als großer Frau gesehen zu werden. Irgendwann hat er sich in
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