Bädersterben: Kriminalroman
immer an die überfluteten Gebiete in Hamburg denken, mit frierenden Menschen auf Dächern, die in Wolldecken eingehüllt auf Hilfe warteten. Hansen entschloss sich, die steinerne Treppe zu den Fluttoren hochzukraxeln, die bei Sturmflut vollständig geschlossen werden konnten. Allerdings verhinderte der Nebel den Blick vom Eidersperrwerk auf die freie Nordsee, zudem schien Ebbe zu sein. Er schob den letzten Bissen seines Brötchens in den Mund, bevor er seine Dienstfahrt angespannt fortsetzte.
Sein verhasster Büroleiter Zeise hatte seine eigene Philosophie, die er ihm unlängst vertraulich untergejubelt hatte. ›KoHa, je weniger man in die Wege leitet, umso weniger Fehler unterlaufen einem. Das sehen Sie beim THW und bei Holstein Kiel, und selbst auf Schalke brennt ständig die Bude. Das muss man einfach aussitzen. Es kostet ein wenig Schweiß, aber dann ist der Spuk irgendwann vorüber. Das machen doch schließlich alle hier. Sie etwa nicht?‹ Dabei hatte Zeise ihm zugezwinkert, obwohl er eigentlich wissen müsste, dass er wegen der Verballhornung seines Namens auf Hansens persönlicher Hassliste stand. Nein, außer seiner Frau kannte kaum jemand Hansens Vornamen: Konrad. Die Kurzform war Kurt, was er noch blöder fand, obwohl es über diesen Namen wenigstens den einen oder anderen Spottschlager gab.
Nein, er war Hansen, und er ging den Sachen auf den Grund. Er trat auf das Gaspedal.
Kurz vor Wesselburen wunderte er sich über die mächtige Kirche mit dem für hiesige Verhältnisse ungewöhnlichen riesigen Zwiebelturm, den er schon lange vor dem Erreichen des Ortes ausmachen konnte. Nach dem angenehm sanften linken Schlenker der Umgehungsführung musste er wenige Minuten später bei Oesterdeichstrich scharf rechts in Richtung Büsum abbiegen. Er war sich aber nicht sicher, ob das der richtige Weg war. So stellte er den Motor ab, um nachzusehen, wie er am besten zum Flughafen gelangen konnte. Er öffnete das Seitenfenster und angelte sich das zweite Brötchen. Während er mampfend die Karte studierte, hörte er ein lauter werdendes Brummen, und wenig später tauchte keine 100 Meter schräg vor ihm ein kleiner Flieger auf, der offensichtlich auf die Nordsee zuhielt. Nein, Stuhr musste schon längst auf der Insel sein.
Er war falsch gefahren, und so war er gezwungen, kurz vor Büsum bei Dreikaten die Landstraße zu verlassen und auf einen Behelfsweg einzubiegen. Als er nach längerer Fahrt auf huckeliger Piste das Gleis der Schleswig-Holstein-Bahn überquert hatte, nahte endlich das kleine backsteinerne Flughafengebäude. Die aufgesetzte Glaskanzel schien besetzt zu sein, vermutlich mit diesem hochgelobten Thies Theißen. Hansen parkte sein Fahrzeug direkt neben dem alten Golf von Stuhr. Ansonsten wirkte der Flugplatz wie ausgestorben, selbst das kleine Flughafenrestaurant war mitten im Sommer geschlossen.
Kaum hatte er das Gebäude betreten, da informierte ihn eine kräftige männliche Stimme aus dem oberen Etagenbereich über die Informationslage. »Die Maschine ist schon weg. Gegen drei geht erst die nächste.«
»Herr Theißen, sind Sie das?«Der Kommissar begab sich zu der Wendeltreppe, die zur Glaskanzel führte.
Oben beäugte ihn neugierig ein jüngeres bärtiges Gesicht. »Ja, das bin ich. Ich leite den Flughafen, aber hier dürfen Sie eigentlich nicht heraufkommen. Was gibt es denn?«
Hansen antwortete nicht, sondern zwängte sich weiter die enge Treppe hoch. Ein paar Stufen höher hielt er Theißen die Dienstmarke vor die Nase.
Der wirkte sehr gefasst, und seine Stimme klang unaufgeregt. »Kriminalpolizei? Hier hat niemand etwas verbrochen. Es geht alles seinen geregelten Gang.«
Hansen nickte nicht unfreundlich. »Daran habe ich wenig Zweifel. Ich bin Hauptkommissar Hansen. Tach, Herr Theißen. Sie können sich nicht vorstellen, was mich zu Ihnen führt?«
Theißen zögerte einen Moment, bevor er auf die vor ihm liegende Kieler Rundschau zeigte. »Diese Sache in St. Peter-Ording? Ich weiß bloß nicht, wie ausgerechnet ich Ihnen helfen soll.«
Hansen musterte den jungen Mann. Er war groß und kräftig und hatte ebenmäßige Gesichtszüge. Hansen konnte sich gut vorstellen, dass die Revierleiterin Clausen ein Auge auf ihn geworfen hatte. Aber das tat jetzt nichts zur Sache. »Indem Sie mir die Wahrheit sagen, Herr Theißen. Das Foto in der Rundschau ist übrigens nicht mehr ganz aktuell. Das Ding wurde heute früh abgefackelt. Brandstiftung.«
Offensichtlich wusste Theißen Bescheid, denn
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