Bädersterben: Kriminalroman
Nebelbänken. Die Maschine sank tiefer und tiefer, und das Flugfeld wirkte immer kürzer. Dann setzten sie mit einem heftigen Schlag auf der Landebahn auf, wo sie wieder von dicken Nebelschwaden verschluckt wurden. Der Pilot kannte aber den Weg zum Abfertigungsgebäude wie im Schlaf.
Anna Maria Rasmussen löste sich erleichtert aus Stuhrs Arm. Sie schien froh zu sein, unversehrt ihre Insel erreicht zu haben. Mit einem Handschlag verabschiedeten sie sich beide vom Piloten.
Im Abfertigungsgebäude wurden sie von einem Bediensteten der Friesischen Fluggesellschaft nach der Überprüfung der Flugscheine ermuntert, ihre Kreditkarten in den Schlitz eines kleinen weißen Apparates zu stecken. Der Flugbetrieb schien hier trotz der widrigen Wetterumstände absolut geregelt abzulaufen. Die Rasmussen schob genau wie Stuhr ihre Kreditkarte in das Gerät, und mit einem freundlichen Gruß wurden sie aus dem Flughafen entlassen. Dort umhüllte sie erneut der dichte Nebel. Anna Maria Rasmussen zog Stuhr schnell an dem alten Ford Transit vorbei, der sie zum Fähranleger bringen konnte, an dem die Dünen-Taxis, so hießen die Wasserboote hier, stündlich anlegten.
Stuhr wunderte sich. »Ich denke, hier auf der Insel gibt es keine Erlaubnis für Fahrzeuge?«
»Sind Flugzeuge, Hubschrauber, Schnellfähren und Fahrgastschiffe etwa keine Fahrzeuge?«, fragte sie zurück. »Es gibt doch immer Ausnahmen von der Regel. Aber wir haben genug Zeit, das Dünen-Taxi fährt nur halbstündlich. Im Übrigen ist die Mitfahrt viel zu teuer.«
Stuhr schwieg und folgte ihr durch den dichten Nebel auf einem Behelfsweg aus Betonplatten, der auch über das Flugfeld führte. Das Tuten der Nebelhörner erinnerte Stuhr daran, dass auch die Fahrt mit der Schnellfähre kein Zuckerschlecken geworden wäre. Dann schlängelte sich der Weg weiter durch die Dünen, bis sie endlich den Fähranleger erreichten. Stuhr fluchte, als er das Preisschild sah. Vier Euro sollte die Überfahrt mit dem Dünen-Taxi zur Hauptinsel kosten.
Anna Maria Rasmussen bemerkte seinen säuerlichen Blick. »Mein tapferer Held, wo sind Sie denn geboren?«
Stuhr schwieg. Natürlich war er in Kiel geboren. Dort bezahlte man den Preis und fluchte. Anna Maria Rasmussen dagegen handelte lächelnd den happigen Fahrpreis auf zwei Euro herunter und zahlte ungefragt für beide. Das war Stuhr ein wenig peinlich, aber im Nachhinein musste er ihr recht geben, denn die Fahrstrecke betrug nicht einmal einen Kilometer. Für das gleiche Geld konnte man sich in Danzig 100 Kilometer in öffentlichen Verkehrsmitteln transportieren lassen. Und zurück.
Während der kurzen Überfahrt war nicht viel zu erkennen. Stuhr war froh, dass der Schiffer sein Revier offensichtlich gut kannte. Dennoch, im Flugzeug hatte er sich wohler gefühlt. Als Stuhr auf dem Dünen-Taxi als Eigner des Fährbetriebs allerdings den Namen Rasmussen las, zweifelte er nicht mehr an dem ungesetzlichen Broterwerb der Vorfahren der Familie seiner Mitreisenden.
Schließlich kam der ersehnte Moment, an dem er den schwankenden Boden der Fähre verlassen und auf der Insel Fuß fassen konnte. Endlich war er auf Helgoland, auch wenn von der Insel selbst im dichten Nebel nicht viel zu erkennen war.
Anna Maria Rasmussen reichte ihm zum Abschied artig die Hand. »Tschüss, und schönen Dank nochmals für die nette Begleitung. Wo werden Sie denn wohnen?«
Darüber hatte sich Stuhr in der Tat noch keinerlei Gedanken gemacht, schließlich hatte er ursprünglich vorgehabt, abends gleich wieder zurückzufliegen. Danach sah es heute aber nicht mehr aus. »Haben Sie denn in Ihrem Domizil noch ein Zimmer frei?«
Sie lachte. »Klar, da wird sich schon noch irgendeine Besenkammer finden lassen. Ich kann doch meinen tapferen Begleiter nicht im Stich lassen.«
Stuhr nickte dankbar. Sie blickte ihn dagegen nachdenklich an. »Übrigens, wenn Sie in Cuxhaven nicht sitzen geblieben wären, dann wäre ich auch ausgestiegen und müsste jetzt da draußen angeschnallt auf dem Katamaran in der Nebelsuppe das Krachen der Wellen ertragen. Ich habe das einmal miterlebt, keine schöne Erfahrung. Es kommt nicht oft vor, aber irgendwann muss ein solches Fahrzeug durch den immer höher werdenden Wellengang notgedrungen seine Geschwindigkeit drosseln und wird deswegen automatisch ein potenzieller Spielball der Natur. Im besten Fall wird man in solchen Situationen von Hubschraubern der Marine notevakuiert. Das ist jedoch keine besonders angenehme Angelegenheit.
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