Bädersterben: Kriminalroman
gebracht, war diensteifrig, sah adrett aus und hatte gute Umgangsformen. Vorsichtig nickte er. »Ich denke schon. Hat Ihre Nachfrage einen tieferen Grund?«
Theißen drehte sich auf seinem Stuhl ein wenig ab und begann stockend zu erklären. »Wir sind geschieden, Christiane und ich. Eine furchtbare Geschichte. Wir haben einen kleinen Jungen. Er lebt bei mir, ist jetzt bei meinen Eltern. Geht ja auch nicht anders bei dem vielen Schichtdienst, den sie schieben muss.«
Hansen begann zu erahnen, welche menschliche Tragödie sich zwischen den beiden abgespielt zu haben schien. »Sie sprechen nicht mehr miteinander?«
Theißen blickte starr auf das Flugfeld. Er schüttelte den Kopf. »Nein, es geht nicht mehr. Es sitzt zu tief. Bestellen Sie ihr bitte einen schönen Gruß und sagen ihr, dass es uns beiden Männern gut geht?«
Hansen bemerkte durch die Spiegelung des Fensterglases, dass dem jungen Mann Tränen die Wangen herunterliefen. Er verspürte Mitleid mit dem jungen Vater. Er hat gar nicht schlecht von ihnen gedacht – er vermutete bloß, dass sie auf ihn stehen würde. Ein Mann der großen Gefühle war er aber auch nicht. Er beschloss, sich besser zu verdrücken. »Das mache ich, Herr Theißen. Darauf können Sie sich verlassen. Tut mir leid für Sie. Ich gehe jetzt ein Stück spazieren. Bis zur Landung ist ja noch reichlich Zeit, und ich muss den Kopf frei bekommen.«
Theißen nickte mechanisch, ohne sich umzudrehen, und Hansen schlich die Wendeltreppe hinunter. Lautlos öffnete er die Eingangstür und eilte zu seinem Fahrzeug. Er musste dringend mit der Clausen telefonieren, denn die Auswertung der Passagierlisten konnte sie sich vermutlich ersparen. Noch wichtiger war es aber, Stuhr zu fassen zu bekommen. Er benötigte dringend die Liste mit den Personen, die eine Genehmigung zum Befahren des Sandes hatten. Warum ging der nur nicht an sein Telefon?
14 Wolferwartungsland
Stuhr war bei den Rasmussens ausgesprochen gut untergekommen. Der etwas dickliche Mann seiner Reisebegleiterin entpuppte sich als schlagfertiger und gutmütiger Geselle, der ihm in keiner Weise als arglistig erschien. Er führte ihn schnurstracks in ein modernes, behagliches Zimmer und öffnete die Tür zum Balkon. Der liebe Gott konnte es nicht gewesen sein, aber ausgerechnet in dem Moment, als er auf den Balkon trat, verflüchtigte sich jeglicher Nebel, und die Mittagsonne begann mit voller Kraft die vielen bunt gefärbten Hütten, die den westlichen Teil des Hafens umsäumten, in weiches Licht zu tauchen.
»Das sind unsere Hummerbuden«, erklärte Rasmussen. »Hummer gibt es da unter Umständen auch, aber ansonsten können Sie alles erwerben, was Touristen so erstreben. Zollfrei natürlich, und Mehrwertsteuer wird bei uns auch nicht erhoben.«
Stuhr nickte ihm anerkennend zu, doch sein vibrierendes Telefon lenkte ihn ab. Unbemerkt zog er es heraus und erkannte Hansens Nummer. Offensichtlich war der neugierig. Nein, bevor er nicht irgendetwas auf diesem Eiland herausgefunden hatte, würde er nicht mit ihm telefonieren.
Rasmussen wies nun auf mehrere kleine Boote hin, die den Hafen verließen, um einem größeren Schiff entgegenzufahren, das sich vom Horizont her näherte. »Das sind unsere Börteboote, eine alte Helgoländer Tradition. Sie sind Segen und Fluch zugleich.«
Das mit dem Fluch konnte Stuhr verstehen, denn schließlich war ein Ausbooten auf jeder See kein Vergnügen, selbst bei geringem Wellengang, und sicherlich auch für die Menschen auf den Börtebooten nicht. Das schien ihm purer Anachronismus zu sein. Das mit dem Segen konnte er weniger nachvollziehen, und so sah er Rasmussen fragend an.
Der antwortete überzeugend. »Na ja, Segen deswegen, weil die Tagesbesucher eine wichtige Einnahmequelle hier auf der Insel sind. Fluch deshalb, weil dieses Ausbooten den kurzen Aufenthalt der Tagesgäste noch ein wenig mehr verkürzt. Aber Sie werden es ja erleben, wenn Sie heute bei uns übernachten. Wie die Heuschrecken fallen die Touristen über Mittag ein und wälzen sich durch die engen Gassen. Am frühen Nachmittag müssen sie zurück zu ihren Booten, dann werden die Bürgersteige wieder hochgeklappt. Genau deswegen gibt es jetzt diese neuen Pläne von Investoren, den Wassergraben zwischen Flughafen und Badeinsel Düne und der Hauptinsel zuzukippen. Sie werden in der Zeitung davon gelesen haben.«
Stuhr nickte. Das hatte er, aber so richtig ernst genommen hatte er den Artikel nicht.
Rasmussen zog die Schultern hoch.
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