Bädersterben: Kriminalroman
ausgestellt worden, genau wie bei uns. Das ist ungewöhnlich, kann jedoch schon einmal vorkommen, wenn beispielsweise das Buchungssystem auf Düne ausgefällt. Seltsam ist aber, dass ich die Unterschrift auf dem Flugschein nicht kenne. Da müsste Michalczyk oder Boretzki stehen, die hatten am Samstag dort Dienst. Diese Namen tauchen hier aber beide nicht auf. Ich würde das hier als ›Genz‹ oder ›Grenz‹ entziffern. Der Pilot von heute Morgen heißt Norbert Grenz. Vielleicht hat er ja den Flugschein ausgestellt.«
Puh. Da war sie vielleicht, die ersehnte erste heiße Spur. Hansen frohlockte innerlich, aber so ganz mochte er noch nicht an sein Jagdglück glauben. »Darf denn ein Pilot so einfach Flugscheine ausfüllen?«
Theißen nickte. »Dieser Grenz ist ein bisschen maulfaul, eher ein schweigsamer Typ. Doch genau das hat er mir heute Morgen erzählt. In Sonderfällen darf er das. Manchmal gibt es Überbrückungsflüge, wenn eine Maschine mehr gebraucht wird, weil zu viele Fluggäste mitwollen. In solchen Fällen kommt eine zusätzliche Maschine von Borkum oder Harle. Der Pilot stellt dann für mitfliegende Passagiere auf dem Überbrückungsflug Tickets aus, unterschreibt sie und kassiert bar. Auch wenn die Friesische Fluggesellschaft außerhalb der Flugplatzöffnungszeiten aus übergeordneten Gründen von Düne fliegt, darf er das. Vielleicht gibt es ja noch mehr Sonderregelungen, wer weiß? Warum fragen Sie ihn nicht selbst?«
Wenn das so einfach wäre. Hansen seufzte. »Wo befindet sich dieser Norbert Grenz denn zurzeit?«
Theißen zuckte mit den Schultern und wandte sich ab. Er zog sich einen unerwartet großen Kopfhörer über die Ohren und konzentrierte sich auf den Funkverkehr. Er versuchte, den Piloten gezielt anzufunken, aber der meldete sich nicht. Bei der Friesischen Fluggesellschaft wusste man auch nicht, wo er gerade steckte.
Theißen drehte sich wieder zu Hansen um. »Vermutlich macht der Grenz gerade Mittagspause irgendwo am Strand auf der Düne. Der Flug heute Morgen hatte sich bei uns ein wenig verzögert, und er musste einen Umweg über Cuxhaven nehmen. Sonst fliegt er zwischendurch immer noch einmal Helgoland–Bremerhaven, aber die Tour hat ein Kollege übernommen, den habe ich gerade im Funk gehört. Offensichtlich war die Zeit zu knapp geworden. Aber Sie brauchen nur bis viertel nach drei zu warten, dann wird Norbert Grenz hier wieder landen.«
Der Kommissar überlegte. Jetzt war es viertel nach elf. Wollte er so viel Zeit ungenutzt verstreichen lassen? Er versuchte, Stuhr mit seinem Handy zu erreichen, aber der nahm das Gespräch nicht an. Sollte er den Kollegen Rost bitten, diesen Grenz zu verhören? Nein, das würde er schon lieber selbst erledigen. Im Übrigen würde das zu viel Aufhebens auf der Insel bedeuten. Schließlich wollte er nicht den Piloten des Opfers, sondern seinen Mörder zur Strecke bringen und weitere mögliche Straftaten verhindern. Oder sollte etwa Grenz dem Reinicke den Flugschein in den Hals gestopft haben?
Theißen bemerkte sein Zögern. »Kann ich Ihnen noch irgendwie weiterhelfen, Kommissar?«
Der Morgennebel hatte sich jetzt endgültig verflüchtigt. Hansen konnte schon von Weitem den blauweißen Zug der Schleswig-Holstein-Bahn ausmachen, der wenig später unweit von ihnen mit ordentlichem Lärm vorbeiratterte. Unschlüssig blinzelte er in die Sonne. Dann wandte er sich dem Flughafenleiter zu. »Danke. Sie haben mir schon sehr geholfen, Herr Theißen. Vielleicht können Sie die Fluggesellschaft benachrichtigen, auf dem Nachmittagsflug nach Büsum einen zweiten Piloten mitfliegen zu lassen. Ich vermute, dass mein Gespräch heute Nachmittag mit dem Fliegerkameraden Grenz etwas länger dauern wird. Wäre übrigens nicht schlecht, wenn er diesmal eine Zahnbürste einstecken würde.«
Theißen musste unfreiwillig lachen. »Na, da werden die aber begeistert sein.« Er drehte sich um und gab die Informationen über Funk weiter. Dann wurde er ernst. »Sie haben bereits mit Frau Clausen gesprochen?«
Hansen stutzte. Was sollte denn diese Frage? Er antwortete unverbindlich. »Ja, in der Tat, mehrfach. Ohne Polizeihilfe vor Ort sind wir auf dem flachen Land ziemlich aufgeschmissen.«
Theißen nickte, und es entstand eine längere Pause. Zögerlich folgte die eigentliche Frage. »Geht es ihr gut?«
Hansen war überrascht. Aus welchem Grund sollte es der jungen Kollegin nicht gut gehen? Sie hatte doch in jungen Jahren eine beachtliche Karriere hinter sich
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