Bädersterben: Kriminalroman
Die behelmten Männer sind zwar alle lieb und nett, aber es ist wie bei den Börtebooten. Letztendlich behandeln die dich grob wie ein Stück Fleisch, das von A nach B muss. Dabei kann man als zarte Frau nur hoffen, dass sie selbst die Situation unter Kontrolle haben.«
Sie bewegten sich von der großen Landungsbrücke an ehemaligen Abfertigungsgebäuden vorbei zu den Häusern auf dem Unterland zu. Die Situation wurde Stuhr zu vertraulich. Die Lebensgeschichte von seiner Begleiterin musste er nicht kennen, seine eigene wäre ohnehin kaum vermittelbar.
»Dankeschön, dass Sie das Gerede der kleinen Frau aus Schlasien die ganze Zeit ertragen haben. Ohne Sie hätte ich niemals diesen Horrortrip im Flieger über alle Stationen überlebt.«
Stuhr konnte nicht ganz folgen, denn was sie gerade geäußert hatte, zeugte nicht gerade von großem Zutrauen in die fliegerischen Leistungen des Flugzeugführers. »Ich denke, unser Pilot war ein Held im Himalaja? Das hatten Sie mir doch gesagt, oder?«
Sie winkte ab. »Helgoland ist ein Dorf, hier gibt es nicht einmal 1400 Einwohner, da sollte man vorsichtig sein, was Gerüchte angeht. Genau aus diesem Grund bin ich auch skeptisch bei Fliegerlegenden, denn jeder Mensch hat zwei Seiten. Nicht umsonst habe ich mich bei diesem Horrorflug bei Ihnen eingehakt, das können Sie mir glauben.«
Sie waren jetzt an der Promenade vor dem Südstrand angelangt. Die Rasmussen blickte sich vorsichtig um, aber immer noch ließ der Nebel keinen Blick auf andere Menschen zu. Die kleine Frau stellte sich unvermittelt auf die Zehenspitzen, schlang ihre zierlichen Arme um seinen Hals und hauchte ihm im dichten Nebel einen Kuss auf die Wange. »Danke, mein edler Retter.«
Stuhr wusste nicht, wie er reagieren sollte. Sie kannten sich kaum.
Zum Glück wurde sie sofort wieder geschäftig. »Dann kommen Sie am besten gleich einmal mit in unser Hotel. Mein Mann wird es Ihnen danken.«
Darüber hatte Stuhr berechtigte Zweifel, aber die kleine Hand zog ihn fast fürsorglich in die Richtung ihres Domizil. Sollte er diese Verbindung abreißen lassen? Warum konnte er nicht einmal eine Partnerin wie diese Anna Maria Rasmussen finden?
13 Keine Ruhe
›Vier Stunden schläft der Mann, fünf die Frau und sechs der Idiot‹, soll Napoleon einmal geäußert haben. Hansen selbst fühlte sich, als wenn er nicht einmal eine Minute geschlafen hätte. Recht steif mühte er sich auf den Deich hoch, um auf den Parkplatz bei der Dünentherme zu gelangen, denn nach den beiden Bierchen gestern Abend hatte er sein Dienstfahrzeug dort lieber stehen gelassen. Kommissar Hansen atmete tief durch. Eigentlich liebte er die unendliche Weite von Watt, Nordsee und Wolkenmeer. Heute Vormittag aber war er nicht böse, dass ihm der Morgennebel den Blick auf die qualmende Arche versperrte.
Kaum saß er im Fahrzeug, als ihn schon sein Chef anrief und ihm gehörig den Marsch blies.
Nach diesem kalten Einlauf hielt er in St. Peter-Dorf zunächst einmal beim Bäcker und bestellte sich einen Becher Kaffee. Die auf dem Stehtisch liegende Kieler Rundschau lockte die Urlauber mit dem Aufmacher ›Foltertod an der Nordsee‹, doch das darunter stehende Foto von der Arche zeugte immerhin von der Schönheit des gestrigen Strandtages. Er konnte sich lebhaft vorstellen, welches Foto morgen dort prangen würde. Er blickte auf die Uhr, es war halb zehn. Er ließ sich zwei belegte Brötchen einpacken und machte sich auf die Fahrt zum Flughafen nach Büsum.
Die Landstraße schlängelte sich in weiten Bögen durch die Küstenlandschaft, die mehr Ähnlichkeit mit den Nordseeinseln als mit dem Marschland der übrigen Westküste aufwies. Irgendwann verließ das Asphaltband der Landstraße die Salzwiesen und näherte sich einem mächtiger werdenden Deich, an den sich die Küstendünen zunehmend anschmiegten. Kommissar Hansen wusste, dass jetzt das Eidersperrwerk nahte, das die Halbinsel Eiderstedt von Dithmarschen trennte. Dann tauchte er schon in den Tunnel ein. Auf der anderen Seite der Eider steuerte Hansen sein Fahrzeug vom Damm auf den Besucherparkplatz. Er schnappte sich ein Brötchen und stieg aus. Die Sicht war schlecht, aber er konnte eine Schautafel ausmachen, auf der zu lesen war, dass diese riesige technische Anlage in Folge der großen Sturmflut von 1962 entstanden war, als große Teile der Westküste im Gebiet der Eidermündung von den Fluten überschwemmt worden waren.
Bei der Naturkatastrophe von 1962 musste er bisher eigentlich
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