Bädersterben: Kriminalroman
»Wenn die Investoren Ernst machen, dann kann mein Bruder seinen Dünen-Taxibetrieb zumachen. Und eigentlich müssen sie Ernst machen, denn wir kommen mit unserer Einwohnerzahl so langsam an die kritische Untergrenze, bei der es nicht mehr möglich ist, die Dorfeinrichtungen wirtschaftlich zu betreiben. Krankenhaus, Kindergarten, Schule und Sportverein. Wenn wir nicht gerade die Finanzkrise hätten, dann würden hier längst schon die ersten Dampframmen wummern.«
Stuhr vermochte nicht zu entscheiden, ob das ein Fluch oder ein Segen wäre, aber wenn es um so viel Geld ging, dann konnte er sich schon vorstellen, wie hier die Immobiliengeier im Sturzflug landen würden. Klar, die Kosten könnte man durch Landverkauf sicherlich wieder hereinbekommen, und wenn man den Flughafen vergrößerte, könnten hier nicht nur Buschflieger landen. In dem Zuge ließe sich auch ein tiefer Hafen bauen, und viele Touristen würden eine Unmenge Geld auf die Insel schwemmen. »Das ist richtig, Herr Rasmussen. Aber wäre Helgoland dann noch das, wofür es steht?«
Rasmussens Gesicht verfinsterte sich. »Ich glaube nicht, dass wir überhaupt die Wahl haben. Aber wenn Sie wollen, können wir das ja gleich mit dem Gemeindevorsteher diskutieren. Wir treffen uns zum Mittagstisch im Fischerstübchen. Sie können gern mitkommen. Das Essen ist gut dort.«
Obwohl es Stuhr eher zum Institut drängte, mochte er aus Höflichkeit das Angebot nicht ausschlagen. »Jetzt sofort?«
Rasmussen nickte.
Stuhr schnappte sich seine Jacke für den anschließenden Spaziergang. »Hinterher muss ich aber zur Biologischen Anstalt, ich muss dort etwas erkunden.«
Rasmussen griente. »Sind Sie etwa Hobbyforscher? Na, das können Sie vielleicht auch einfacher aus erster Hand haben. Direktor Rogge kommt meistens zum Stammessen. Mal sehen.«
Das war einfach unglaublich, die Bekanntschaft von Anna Maria Rasmussen schien die vermeintlich verloren geglaubte Zeit locker wieder hereinzuholen.
Keine 100 Schritte weiter dröhnte eine kräftige Stimme aus dem maritimen Lokal, dessen Türen und Fenster weit offen standen.
»Das ist unser Gemeindevorsteher, Hans Stein, ein echtes Unikum. Er ist ein tüchtiger Mann und weltoffen, aber seine eigene Meinung verteidigt er mit Klauen und Zähnen. Sie werden schon sehen.«
Als sie eintraten und grüßten, unterbrach der Gemeindevorsteher keineswegs seine polternde Rede, die einem Polizisten galt. »Vergiss nicht, Jörn. Atlantis ist versunken, und Rungholt auch. Glaube mir, Helgoland wird die nächste Insel sein, die dem blanken Hans geopfert werden muss und nur noch als Sage weiterbestehen wird. Jedes Jahr verlieren wir um die 50 Einwohner. Wenn wir nicht wieder auf eine ordentliche Mindestgröße kommen, dann wird das hier Wolferwartungsland.« Zur Bekräftigung schlug der Gemeindevorsteher mit der Faust auf den Tisch, dass die Gläser klirrten.
Stuhr konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, denn dass nun Wölfe über die Nordsee kommen sollten und Herren der dünnbesiedelten Klippe werden würden, das war wirklich nicht zu befürchten.
In die einkehrende Stille stellte Rasmussen Stuhr vor und auch den Wasserschutzpolizisten Jörn Rost. Dann musste Stuhr den Herren von seiner abenteuerlichen Reise berichten.
Wieder schlug der Gemeindevorsteher empört mit der Faust auf den Tisch und servierte dem jetzt eintretenden Gast eine Steilvorlage. »Das hättest du dir mal anhören müssen, Jürgen. Wir leben mitten im 21. Jahrhundert, und unser Gast berichtet gerade von einer Odyssee, um auf unse Klippe zu gelangen. Eine Anreise wie im Mittelalter. Das macht doch ein verwöhnter Tourist kein zweites Mal mit. Nein, wir brauchen jetzt die Verlängerung des Flughafens und einen Tiefwasserhafen für die Kreuzfahrtschiffe, und das geht nur mit der Aufschüttung.«
Der eintretende Mann stellte sich als Dr. Rogge vor, Leiter der Biologischen Anstalt Helgoland. Er schmetterte die Vorlage des Gemeindevorstehers sofort ab. »Das brächte sicherlich einige Annehmlichkeiten mit sich, Hans, aber es ist nicht abzusehen, in welchem Maße sich die Aufschüttung auf das komplexe Ökosystem um Helgoland auswirken würde. Unsere Untersuchungen sind jedenfalls noch nicht abgeschlossen. Gibt es da eigentlich etwas Neues in dem Fall mit meinem ermordeten Mitarbeiter, Jörn?«
Der Polizist hielt sich zurück. »Da kann ich hier am Tisch nichts zu sagen, Jürgen. Das musst du schon verstehen. Ich habe aber alle Hände voll zu tun. Heute Vormittag
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