SMS für dich
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|7| Prolog
«Guten Morgen, Lilime. Lust auf Croissants?»
Ohne die Augen zu öffnen, atmet Clara genussvoll den frischen Kaffeeduft ein. Sie räkelt sich auf dem weichen Bett und gibt
sich dem wohligen Gefühl hin, das sie im ganzen Körper erfüllt. Es muss Wochenende sein! Sonst wäre Ben sicher noch nicht
aufgestanden, um das Frühstücksritual vorzubereiten. Schließlich sind sie verdammt spät eingeschlafen. Es muss beinahe vier
Uhr gewesen sein, als sie von ihrem Lieblingsitaliener nach Hause spaziert sind. Nach zwei Flaschen Rosé und viel zu vielen
Gläsern Ramazzotti, die Beppo ihnen wie bei jedem ihrer Besuche charmant aufgedrängt hat. Und als sie im Treppenhaus ankamen,
trug Ben Clara wie selbstverständlich in den zweiten Stock, weil ihre Füße von den spontanen Tanzeinlagen auf dem Heimweg
so schmerzten.
Behutsam stellt er jetzt das Tablett ab und setzt sich vorsichtig neben sie. Seine Lippen beginnen zärtlich über ihr Gesicht
zu fahren.
«Eigentlich hab ich ja viel mehr Lust auf was ganz anderes», flüstert Ben ihr ins Ohr.
Allmählich wird Clara wacher. Sie spürt Bens feine, kurze Bartstoppeln auf ihrem Dekolleté. Mit seinem Mund gleitet er langsam
über das hauchdünne Hemdchen.
Sie liebt es, wenn er sie so weckt. Nichts schenkt ihr mehr Geborgenheit, als seinen starken Körper so nah zu spüren.
Doch er ist ganz leicht. Auch seinen vertrauten Geruch nimmt sie kaum wahr. Irgendwas ist heute anders.
|8| Wie in Trance öffnet Clara zaghaft die Augen. Und mit einem Schlag ist sie wach.
Sie fühlt sich augenblicklich wie eine Fremde, gefangen in einer Zeit, die sie nicht kennt.
Plötzlich ist sie wieder da, die brutale Realität: Ben ist nicht da.
Ben wird nie wieder da sein.
Sie muss geträumt haben. Clara hat schon lange nicht mehr geträumt. Seit zwei Monaten und fünf Tagen hat sie auch nicht mehr
gelächelt – obwohl sie sich hin und wieder darum bemüht hat. Etwa um ihre Mutter davon abzuhalten, weitere zermürbende Trosttiraden
von sich zu geben. Wenn sie wieder die alte Clara wäre, würde ihre Mutter sie vielleicht schneller wieder sich selbst überlassen.
Sich selbst überlassen …
Genauso fühlt sie sich, seit ihr geliebter Ben an jenem Januartag von einem Balkon aus in den Tod gestürzt ist.
Sich selbst überlassen. Und allein. Allein mit all den Gedanken, die Clara wie ein übergroßes Schattengebilde verfolgen. Vor
allem nachts. Immer wieder wacht sie auf aus einem unruhigen, traumlosen Schlaf. Zwischen Schlafen und Erwachen gibt es lediglich
eine einzige friedvolle Sekunde, in der sich Clara wie die Clara fühlt, die sie früher gewesen ist.
Bevor Ben starb, war Clara eine souveräne Frau gewesen. Eine, die weniger romantisch und sentimental war als die meisten ihrer
Freundinnen. Diese rationale und starke Seite war es auch, die Ben vom ersten Tag an fasziniert hat. Ihre Bilder von der Welt
waren zwar unterschiedlich, doch zusammen ergaben sie ein wunderbar vollkommenes Gemälde, das beiden gleichermaßen Halt bot.
|9| Wann immer sie aneinandergerieten, fanden sie nach kurzer Zeit wieder zusammen. Zunächst mit einigen kleinlauten Bemerkungen,
die den Stolz überwanden, schließlich mit Gesten, die in vertraute körperliche Annäherungen übergingen. Meist folgte dann
eine Verfolgungsjagd durch die gemütliche Zwei-Zimmer-Wohnung, bis Clara erschöpft in Bens Arme sank. Er brauchte dann bloß
noch so zu tun, als würde er sie zwischen ihren spürbaren Rippen durchkitzeln, und schon kreischte sie vor Panik und Verzückung.
Wenn er sich ihr schließlich mit seinem Mund näherte und ihren schmalen Hals, knapp unterhalb des Ohrläppchens, zärtlich küsste,
säuselte er gern liebevolles Zeug vor sich hin. In solchen Momenten nannte er sie mit leiser Stimme «Lilime». Nur Clara kannte
die Abkürzung für «Lieblingsmensch». Ihre grün leuchtenden Augen begannen dann jedes Mal zu funkeln, und sie liebten sich
wortlos.
Auch nach über drei Jahren waren sie sich noch jedes Mal so nah, wie es eigentlich nur frisch Verliebte vermögen.
Nicht jedoch in der Nacht, als es passierte. Ein vorwurfsvolles Wort hatte das andere ergeben, und Clara würde heute alles
dafür tun, die Vorwürfe niemals ausgesprochen zu haben.
Noch immer hat sie den Klang der Tür im Ohr, die Ben zugeschlagen hatte, als er außer sich vor Wut die Wohnung verließ. Es
war das erste und das letzte Mal, dass er verschwand, ohne zu sagen,
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