0523 - Julies schöne Zombie-Schwester
»Sie ist nackt, schön, hat lange, blonde Haare und einen tätowierten Rücken«, sagte Stefan Klein und deutete durch ein Nicken den Ernst seiner Worte an.
Kommissar Will Mallmann lächelte. »Das soll ich dir alles glauben, Stefan?«
»Und wie.«
»Es fällt mir zumindest schwer.«
»Was?« Klein sah den Kommissar erstaunt an. »Wir kennen uns lange genug, Will.«
»Eben. Ich weiß auch, was du von Beruf bist: Rundfunk-Moderator, immer auf der Suche nach einer heißen Story. Ob sie nun der Wahrheit entspricht oder nicht…«
»So kannst du das nicht sagen«, unterbrach Stefan seinen alten Bekannten. »Was ich über den Äther bringe, stimmt.«
»Sonst wäre ich deinem Ruf ja nicht gefolgt.«
»Dafür bin ich dir auch dankbar. Ich wollte ja einen guten Zeugen vorzeigen können, wenn sie erscheint.« Klein deutete auf seine hochempfindliche Kamera. »Außerdem besitzt auch sie ein unbestechliches Auge.«
Will kannte die Geschichten seines alten Freundes Stefan Klein.
Die beiden Männer hatten sich bei einem Interview vor rund zehn Jahren kennengelernt und waren seit dieser Zeit in einem losen Kontakt geblieben.
Stefan Klein war zu einem Privatsender gewechselt, der öffentlichrechtliche hatte ihn zu sehr eingeengt, wie er sagte. Klein gehörte zu den Leuten, die auf der Suche nach besonderen Geschichten waren. Da kam ihm die Sache mit der blonden Frau gerade recht, die immer in langen Winternächten vor einer alten Steinbrücke erschien und die Menschen erschreckte, ob es nun Autofahrer, Radler oder Fußgänger waren.
Den Begriff »immer« hatte Stefan Klein eingeschränkt. Es handelte sich bei der Frau mehr um eine Sage, und sie war eigentlich vor gut hundert Jahren zum vorletztenmal erschienen, allerdings im Januar des Jahres 1988 wieder häufiger.
Stefan Klein hatte davon Wind bekommen. Er wäre kein guter Reporter gewesen, hätte er sich darum gekümmert und sich gleich rückversichert, indem er Will Mallmann Bescheid gab.
»Eigentlich hätte ich etwas Besseres zu tun, als mir mit dir schon die zweite Nacht um die Ohren zu schlagen«, beschwerte sich der Kommissar.
»Was willst du? Es ist doch gemütlich.«
»Wo – hier?«
»Klar.«
Will schüttelte den Kopf. »Das kann auch nur einer sagen, der beim Rundfunk ist.«
Mallmann hatte mit seiner Beschwerde recht. Sie hockten praktisch unter der alten Steinbrücke, wo es verdammt zog und das vorbeirauschende Wasser des schmalen Flusses noch zusätzliche Kühle brachte, obwohl es bisher ein überdurchschnittlich warmer Jahresbeginn gewesen war. Ein Januar ohne Schnee. Selbst in den Alpen sehnte man sich nach der weißen Pracht.
Will Mallmann und Stefan Klein hockten an der Böschung, eingepaßt in eine flache Mulde. Als Kleidung trugen sie dicke, gefütterte Parkajacken mit Kapuzen, die sie über die Köpfe gestreift hatten, denn der Wind konnte eklig werden.
»Was ist denn, wenn sie nicht erscheint?« fragte Will.
»Du hast mir noch eine dritte Nacht versprochen, denk daran.«
Der Kommissar strich über den schmalen Rücken seiner gebogenen Römernase. »Wie sich das anhört, Stefan.«
»Ist aber so.«
»Meinetwegen.«
Klein fummelte wieder an seiner schußbereit vor der Brust hängenden Kamera herum. Er war um einige Jahre jünger als der Kommissar. Sein angegrautes Haar trug er wie eine Perücke auf dem Kopf. Dauerwellen hatten es lockig gemacht, während es lang in seinen Nacken fiel.
Laut Aussagen eines Zeugen war das unheimliche Mädchen stets gegen Mitternacht erschienen und sogar einmal zu einem der Anhaltenden in den Wagen gestiegen. Sie hatte dem vor Schreck starren Mann etwas gesagt, eine Botschaft mitgeteilt, doch dem Mann waren die Worte entfallen. Er konnte sich an nichts mehr erinnern.
Zu Beginn ihrer Warterei hatte Mallmann einen Begriff geprägt, an dem er auch jetzt noch festhielt. Eine Nacht zum Weglaufen.
Naßkalt, sehr dunkel, ohne Sterne, und auch der Mond hielt sich vornehm versteckt. Nur der Wind war nicht eingeschlafen.
Der kleine Fluß, an dem sie hockten, führte Hochwasser. Es überschwemmte dabei einen Teil der Böschung. Die alte steinerne Rundbogenbrücke trotzte den Wassermassen, die um die im Fluß stehenden Fundamente gurgelnde Wirbel produzierten.
Das Rauschen des Flusses hatte Will zunächst als störend empfunden, sich später aber daran gewöhnt. Jetzt befand er sich bereits in einem Zustand, wo er es kaum noch hörte.
»Möchtest du was essen?« fragte Klein.
Will grinste. »Du willst mich wohl
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