Bären im Kaviar
näherer Betrachtung erwies es sich als eine der alten Schienen von
Afghanistans ehemaliger Eisenbahn. (Neben seinen mannigfachen anderen
einzigartigen Qualitäten ist Afghanistan, soweit ich es übersehen kann, auch
das einzige Land der Erde, das eine Eisenbahn gehabt hat. Ein paar
Länder haben keine Eisenbahn. Die meisten haben eine. Afghanistan aber hat eine
gehabt und sie wieder ausgerissen. Sie war nicht sehr lang — etwa drei
Kilometer — , doch die Stammesfürsten und die Mullahs waren entschieden der
Ansicht, sie sei ein Schritt in eine verderbliche Richtung. Ergo montierten sie
die Bahn ab, vertrieben König Amanullah, der sie erbaute, und wählten sich
einen anderen König.)
Beim Anblick der Schiene machte ich
die Bemerkung, sie sei für unsere Zwecke wohl nicht stark genug. Schah Mahmud
hob die Arme in Verzweiflung, setzte sich in seinen Wagen und brauste davon.
Der Majordomus war über meine Kritik etwas niedergeschlagen und ziemlich
erbost. Spöttisch erkundigte er sich, woher ich denn wisse, daß sein Unterzug
zu leicht sei.
»Ich bin gelernter Techniker«, erwiderte
ich hochmütig. »Ach, und alle gelernten Techniker erkennen die Stärke von
Stahlträgern durch einfaches Hinsehen? Ich dachte immer, sie müßten sie messen
und ein paar Berechnungen machen, um sicherzugehen. Aber vielleicht sind
amerikanische Techniker anders«, schloß er sarkastisch.
Beleidigt, wütend und durch und durch
enttäuscht ging ich heim. Am Abend fiel mir auf einmal ein, daß meine alten
Fachbücher über Technik und Ingenieurwesen bei all den anderen unnützen Büchern
aufgestapelt sein mußten, die ich nun schon seit zehn Jahren auf Kosten der
Regierung rund um den Globus schleppte. Also begann ich, die Belastungsgrenze
einer Schiene von Exkönig Amanullahs ausgerissenem Schienenstrang zu berechnen.
Es dauerte ungefähr eine Woche, bis ich meine Rechenkünste genügend
aufgefrischt und die Kalkulation erstellt hatte. Eine weitere Woche verwandte
ich darauf, die richtigen Formeln für Stahlunterzüge zu entdecken. Ob ich
tatsächlich die richtigen erwischt habe, ist mir bis heute nicht ganz klar,
doch kam ich damals zu dem Ergebnis, daß eine Eisenbahnschiene ungefähr einem
T-Träger entspricht. Inzwischen sackte die Eßzimmerdecke von Tag zu Tag
gefährlicher ein. Es war ein Wettrennen mit der Zeit und dem Mauerwerk im
zweiten Stock. Mit sophistischen Tüfteleien über Formeln durfte keine Minute
verloren werden.
Also machte ich den Schlußstrich unter
die Gesamtkalkulation und stellte zu meiner äußersten Verblüffung fest, daß die
Schiene — vorausgesetzt, es wurde in jedem Schlafzimmer nicht mehr als ein
Elefant gehalten — völlig sicher war. Da es nun zu jener Zeit in ganz Kabul nur
einen einzigen Elefanten gab, der zudem wenig in Häuser kam, weil er die Walze
zum Ebnen der Palasteinfahrt zog, hatte Ahmed Jan offensichtlich recht. Ich
überflog meine Berechnungen noch einmal und ließ ihn holen. Höflich starrte er
auf die drei Notizbücher füllenden Zahlenreihen, die ich ihm voller Stolz
zeigte. Seine eigenen Rechenkünste beschränkten sich auf einfache Additionen,
doch als ich bis zu dem Punkt mit den zwei Elefanten gekommen war, strahlte er,
schüttelte mir wärmstens die Hand und verkündete frohlockend, daß amerikanische
Techniker zwar langsam seien, doch am Ende stets die richtigen Schlüsse zögen.
Natürlich ist es durchaus möglich, daß
die Kalkulationen trotzdem falsch waren, doch hält die Speisezimmerdecke in der
Kabuler Botschaft, letzten Berichten zufolge, immer noch. Ich kann nur hoffen,
daß sich das Differentialrechnen meinen Mitschülern im späteren Leben als
ebenso nützlich erwiesen hat.
Zweifellos spielt in West Point auch
die rein militärische Ausbildung eine einigermaßen wichtige Rolle, obwohl ich
mich seinerzeit redlich bemühte, das zu ignorieren. Ich fürchte, auf diesem
Gebiet lagen meine größten Versager. Vor allem stellten die älteren Jahrgänge
einmütig fest, daß ich bei Paraden nicht Schritt halten konnte. Ich überzeugte
sie zwar schließlich, daß dies nicht der Wahrheit entsprach, doch sie meinten,
dann sei eben sonst was mit meinem Gang nicht in Ordnung. Nach wiederholten
Versuchen, die Muskelschwäche in meiner Hinterhand zu kurieren, verbannten sie
mich ins letzte Glied, wo ich vier Jahre lang blieb. Zuerst fühlte ich mich
etwas beleidigt, hatte mich aber bald daran gewöhnt, ja fand auf die Dauer das
Marschieren hinter meinen Kameraden sogar
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