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Bahnen ziehen (German Edition)

Bahnen ziehen (German Edition)

Titel: Bahnen ziehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leanne Shapton
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Altersklasse neununddreißig bis vierundvierzig. Ich führe, aber auf den letzten fünfzehn Metern lasse ich nach und komme nach meinem Nachbarn an. Ich sehe zu James, und erzuckt mit den Achseln. Mir wird klar, dass er die Sache mit den Altersklassen nicht versteht; für ihn ist ein Wettkampf ein Wettkampf. Glücklicherweise gewinne ich die nächsten beiden Läufe, so dass es aussieht, als wäre ich die Siegerin. James hält die Daumen hoch.
    Als ich in meinem letzten Lauf hinter dem Startblock stehe, kommt eine ältere Frau in einem schwarzen und neongrünen Badeanzug an mir vorbei, die zwei Kinder im Schlepptau hat. »Mami schwimmt im Wettkampf mit, Mäuschen.«
    Plötzlich wird mir klar, warum ich die Einzige in meiner Altersklasse bin. Alle anderen fünfunddreißig- bis neununddreißigjährigen Frauen sind schwanger, stillen oder laufen Kleinkindern hinterher. Ich verschränke die Arme über der Brust. Die alte Frage geht mir durch den Kopf: Ich muss langsam anfangen, über Kinder nachzudenken. Dann: Was denke ich über Kinder? Ich denke daran, wie ich vor zwanzig Jahren vor leistungssteigernden Medikamenten gewarnt wurde und jetzt dazu ermutigt werde, sie zu nehmen. An Störungen der Eileiter mit achtzehn und heute, mit achtunddreißig. Wie mein Körper die Zeit besser begreift als mein Geist. Dann denke ich: Das hier ist mein letzter Wettkampf.
    Als wir gehen, schlendert James zum Auto wie ein Mann, der gerade einen interessanten Vortrag hinter sich hat und jetzt hungrig ist. In seinen Augen leuchten keine Comic-Herzen, sondern nur zerstreute Pragmatik. Auf der Heimfahrt, nach Komplimenten angelnd, sage ich beiläufig, dass ich überrascht von meinen schnellen Zeiten bin, nachdem ich so wenig trainiert und mich auch beim Einschwimmen nicht fit gefühlt habe. »Na ja«, sagt James geistesabwesend mit einem Blick in denRückspiegel, »ich habe gehört, wie auf der Tribüne jemand fragte, ob das Becken nicht zu kurz sei.«
    Ich starre beleidigt aus dem Fenster. James bemerkt es.
    »Was ist? Liebling ... war das ein wichtiges Turnier?«
    Turnier. Ich unterdrücke ein Lächeln, während ich aus dem Fenster sehe, und mein Stolz weicht auf. James ist es egal, ob ich schnell bin oder nicht, ob ich eine gute Schwimmerin bin oder nicht. Das ist das Letzte, was ihn beeindruckt.

P IÑA COLADA
    Nina und ich sitzen unter einem Sonnenschirm bei der zweiten Piña Colada. Ich habe ihr gerade erzählt, wie schnell ich mich verliebe, und als Beispiel habe ich den Mann im Wartebereich am Flughafen genannt, der nach uns in das kleine Flugzeug gestiegen war und, als ich ihm vor dem Abflug ein Bio-Macaron anbot, mit der Begründung ablehnte, er esse keinen Zucker. Ich lasse mich über die Vorteile solcher Verliebtheiten aus, darüber, dass auch Frauen Musen brauchen, sich von Körperlichkeiten beflügeln lassen sollten, wie Männer es schon immer getan haben, dass es da, obwohl man keine Ahnung hat, wer diese Menschen sind, obwohl man nichts weiter unternimmt und sie nie wiedersehen wird, diese aufregenden Minuten gibt, in denen man seinen Körper mit jeder Zelle erkennt und sich selbst nicht, wenn man sich vorstellt, die Menschen im eigenen Leben würden keine Rolle spielen und man würde einfach alles aufgeben. Nina hat den Mann kaum bemerkt, während ich die Realität mit dem Wasser aus meiner Flasche herunterspülte, unfähig, mich umzudrehen, aus lauter Angst, dass James, zwei Plätze weiter, nach drei Jahren Beziehung, es mitbekommen würde.
    Als ich zu Nina sage, ich wüsste, dass ich den Mann nie wiedersehe, blicke ich aufs Wasser hinaus und den Strand entlangund erleide den leichten Schock, der einsetzt, wenn man jemanden sieht, mit dem man nicht gerechnet hat. Er läuft mit einem Sonnenschirm über den Strand, während ein älteres Paar, unverkennbar seine Eltern, aus dem Wasser auf ihn zukommt.
    »O Gott.«
    »Was ist?«
    »Da ist er.«
    Nina lacht, und ein Hauch von Piña Colada weht herüber.
    Er ist groß, dünn und lächelt durch eine dunkle Sonnenbrille in die Sonne. Ihn mit seinen Eltern zu sehen ist auf seltsame Art rührend. Er wirkt, als wäre er siebzehn.
    Ich flüstere Nina zu: »Wie alt, glaubst du, ist er?«
    »Kann ich von hier nicht sagen. Komm, wir gehen schwimmen.«
    Als wir an ihm vorbeigehen, höre ich ihn energisch auf Deutsch telefonieren. Ich winke ihm freundlich zu, und er winkt zurück. Er sieht aus, als wäre er in unserem Alter.
    Im Wasser gebe ich an. Ich führe meine geschmeidigsten Brustzüge

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