Grappa 14 - Grappa und der Tod aus Venedig
Frauengespräche
»Weißt du, Grappa«, sagte Kati, »du hättest nicht Journalistin, sondern Psychologin werden sollen.«
»Ach was?«, wunderte ich mich. Dass mir jemand Einfühlungsvermögen unterstellte, passierte nicht oft. »Wie kommst du denn da drauf?«
»Du bist eine, die um die Ecke denken und sich mit Gestörten voll identifizieren kann, weil sie ihnen geistig nahe ist.«
»Herzlichen Dank«, meinte ich eingeschnappt. »Schön, dass ich endlich mal erfahre, dass du mich für bekloppt hältst.«
»Tu ich doch nicht! Aber neurotisch bist du schon ein bisschen.«
»Meine Neurosen machen das Leben bunt.« Ich griff zum Wein. »Zumindest meins.«
Kati hob das Glas und prostete mir zu. Ich hatte italienisch gekocht und das passende Getränk besorgt: einen leichten Rosé aus dem ›sonnendurchfluteten‹ Friaul – so stand es wenigstens auf dem Etikett. Sonnendurchflutet wäre jetzt schön gewesen – draußen goss es in Strömen.
»Ich mag dich jedenfalls.«
»Hast du nicht schon eine Mutter?«, muffelte ich.
»Klar, aber die versteht mich nicht.«
»Und ich verstehe dich?« Rührung stieg in mir auf und ich schob ihr die Schüssel mit dem Nachtisch hinüber.
»Irgendwie schon. Du gehst prima auf mich ein und nimmst mich ernst.«
»Du stellst mein psychologisches Können allerdings oft auf eine harte Probe. Und meine Geduld. Kann mir gut vorstellen, dass deine Mutter sich mit dir schwer tut. Allein deine vielen Männergeschichten! Die halten ja sogar mich ordentlich auf Trab!«
»Jeder Mensch muss jemanden haben, dem er sich anvertrauen kann und der ihm gute Ratschläge gibt. Und ich hab dafür dich.«
Jetzt hatte mich die Rührung tatsächlich vollständig im Griff. »Mach ich doch gern«, behauptete ich. »Aber im Ernst: Wenn jemand psychologisch betreut werden muss, dann sind es deine abgelegten Lover.«
»Echt?« Kati tat überrascht. »Soll ich sie zu dir in die Sprechstunde schicken?«, grinste sie.
»Ich glaube nicht, dass ich die wieder alltagstauglich recyceln kann«, entgegnete ich. »Aber ich geb's zu: Die letzten neuneinhalb Wochen waren wirklich prickelnd. Du solltest einen Roman drüber schreiben!«
»Den schreibst du«, erklärte Kati und löffelte sich das Tiramisu mit einer affenartigen Geschwindigkeit in den Mund. »Ich mache einfach weiter, erzähl dir alles und du machst einen tollen Sex-Roman daraus. So einen ähnlichen wie diesen Schocker aus Frankreich. Von der Millet – oder wie die Mutter heißt. Sie hatte manchmal fünfzehn Männer am Tag und ...«
»Die kann dem Weihnachtsmann erzählen, dass sie Spaß dabei hatte«, unterbrach ich Kati.
»Mit dem hat sie es bestimmt auch getrieben«, kicherte sie.
»Die Frau mochte keine Männer mit Bart«, sagte ich – ohne es wirklich zu wissen. »Und ein Buch schreibe ich über dein Sexualleben bestimmt nicht. Schriftsteller sollten nur über das schreiben, was sie selbst erlebt haben – habe ich mal irgendwo gelesen. Nur dann wird es richtig gut.«
»Dann wirst du wohl nie einen erotischen Roman zu Stande bringen, Grappa!«
»Könnte sein«, stimmte ich milde zu. »In meinem Alter schreiben die Frauen eher Kochbücher oder fangen mit dem Sammeln von Insel-Büchern an.«
»Stimmt!« Kati deutete auf das kleine Regal, in dem ich meine ›Schätze‹ aufbewahrte. »Hast du die Schinken wenigstens durchnummeriert?«
»Brauche ich nicht. Die haben schon fortlaufende Nummern.«
»Apropos Nummer! Wann warst du eigentlich das letzte Mal verliebt?«
»Das ist schon Lichtjahre her.«
»Was ist eigentlich Liebe?«
O je, immer diese Sinnfragen!
»Keine Ahnung«, gab ich zu. »Ich denke, dass man Liebe schon merkt. Bis dahin ist Erotik ja auch sehr schön.«
»Also Sex!«
»Pass mal auf, Kati.« Ich nahm noch einen Schluck Rosé. »Ich will dir mal den Unterschied zwischen plattem Sex und erstklassiger Erotik erklären. Sex ist die Rein-raus-Nummer und Erotik ist ...« Ich suchte nach den passenden Worten.
»Nicht die Rein-raus-Nummer?«, fragte sie scheinheilig.
»Erotische Anziehung hat nicht unbedingt etwas mit der Lust auf einen Koitus zu tun. Den bringt ja nun fast jeder Mann auf die Reihe, wenn er körperlich einigermaßen fit ist. Bei Erotik geht es um eine Geschichte zwischen zwei Menschen. Er sieht ihren Nacken, in dem sich eine Locke kringelt, und wird sofort hart. Oder er sieht, wie sie den Tropfen ableckt, der an einem Weinglas herunterläuft, und stellt sich ihre Zunge woanders vor. Oder sie sieht seine Hände
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