Bahnen ziehen (German Edition)
den Ton hatten meine Eltern aus einem Farbfächer an einer kleinen Kette ausgesucht. Die drei Stufen zur Hintertür. Wie das Licht aus dem Kellerfenster draußen in den Schnee fiel. Das helle Blau des Gurts im Kombi meiner Mutter.
Der Wettkampf fängt um 15 Uhr an, um zwei beginnt das Einschwimmen. Auf dem Weg zum Schwimmbad kaufe ich eine Flasche blaues Gatorade.
In der Halle rappt Ludacris aus den Lautsprechern, und die Musik wird lauter, als ich ins Wasser steige. Ich bin ein bisschen müde, aber ich fühle mich gut. Ich lockere Arme und Beine, übe ein paar Starts, um sicherzugehen, dass die Brille sitzt, mache zwei Sprints, bevor ich aus dem Becken steige. Das Wettkampfprogramm hängt an der Wand. Ich schwimme in vier Läufen: 50 Meter Freistil, 50 Meter Brust, 100 Meter Brust und 100 Meter Freistil. Ich sehe unseren Trainer nicht, und auch sonst niemanden, den ich kenne. Anscheinend bin ich die einzige Vertreterin unseres Teams, also setze ich mich an die Wand zwischen zwei andere Mannschaften und sehe dem Rest des Einschwimmens zu. Die schönen Züge einiger Schwimmer und die eckige Unbeholfenheit anderer sind ein beruhigender Anblick.
Einem guten Schwimmer zuzusehen, ist das visuelle Pendant zum Streicheln eines glatten Hundekopfs – es ist etwas Natürliches, erstaunlich Reizendes und Perfektes. Wenn man einen Schwimmer an Land sieht, lässt sich nicht sagen, ob er gut ist oder nicht. Ich sehe eine Frau, groß und anmutig, in ihrem Badeanzug perfekt proportioniert, die ins Becken steigt und einen schaurig zerhackten, zögernden Kraulstil hinlegt. Ein kleiner, pummeliger Mann, der weder Badekappe noch Schwimmbrille trägt, springt ins Wasser und schwimmt einen geschmeidigen kraftvollen Schmetterling bis ans andere Ende.
Es ist komisch, dass ich mich hier – inmitten all der halbnackten Erwachsenenkörper – am unbefangensten fühle. Vielleicht erzeugen die Schwimmbrille und die Badekappe eine Art Maskenfreiheit . Ohne Mode, ohne schlank machendes Schwarz oder optisch verlängernde Streifen, gibt es weniger Information zu verarbeiten und zu beurteilen, mehr einfach hinzunehmen. Hier ist es mein Kopf, der den Körper begleitet, nicht umgekehrt. Ich brauche nicht einmal ein Buch oder eine Zeitschrift, um die Stunden totzuschlagen. Ich sehe den Wettkämpfen zu, sitze einfach nur da und bin entspannter, als ich es seit langer Zeit gewesen bin.
Die Bearcats – die Gastgeber des Wettkampfs – besetzen die Tribüne. Die anderen Mannschaften sitzen an der gegenüberliegenden Wand. Während ich nach meinem Trainer Ausschauhalte, sehe ich Frauen mit großen nassen Kreisen am Hinterteil ihrer Jogginghosen, blasse haarige Männer, Trainer mit dem Wettkampfprogramm in der Hand, geschäftige Organisatoren in kurzen Hosen. Am anderen Ende meiner Bank sitzen Mutter und Freundin eines Schwimmers und warten geduldig. Ich sehe auf die Uhr und stelle mir die Szene im Querschnitt vor, vier Stockwerke unter der Straße, ein Schwimmbad voller konzentrierter Erwachsener, die an einem Samstagnachmittag im Wasser herumstrampeln. Den Gesprächsfetzen, die ich mitbekomme, entnehme ich, dass viele der Schwimmer Triathleten sind. So etwas kann ich mir nicht vorstellen. Während der Nationalhymne legen ein paar Schwimmer die nasse Hand auf die nasse Brust. Ich denke an die Ampel über uns, die Verkäufer bei Duane Reade, wo ich das Gatorade gekauft habe, denen das Wechselgeld ausgegangen war. Ich gehe zur Umkleidekabine. Sie ist leer, vor den Waschbecken ist eine große seichte Pfütze. Es fühlt sich anders an als während des Trainings, wie eine Grundschule, die nachts erleuchtet ist. Aufregung liegt in der Luft.
Mein erster Wettkampf, 50 Meter Freistil, verläuft relativ schmerzfrei; ich gewinne den Lauf und bin Beste meines Jahrgangs. Immer noch kein Trainer da. Ich warte auf meinen zweiten Einsatz, sehe mir die Läufe an, rutsche auf meinem nassen Po herum, der, als das Lycra trocknet, unangenehm juckt. (Die Betroffenen dieses verbreiteten Schwimmerleidens nannte mein Bruder den JPC – Juckender-Po-Club.) Bei meinem zweiten Wettkampf, 50 Meter Brust, ärgere ich mich über die Frau in der Nebenbahn, die fast eine Sekunde schneller ist. Sie trägt einen der Hightech-Anzüge, von denen ich dachte, sie seienverboten. Auf dem Wettkampfprogramm sehe ich ihren Namen und ihr Alter nach: Sie ist zehn Jahre jünger als ich. Ich schwöre mir, sie auf 100 Meter Brust zu schlagen. Um fünf gibt es eine Pause, und ich
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