Bahners, Patrick
Der
Schwiegersohn gehört zur Familie, obwohl die Schwiegereltern (jedenfalls in
Deutschland) ihn sich nicht aussuchen konnten. Um Deutschland ging es, und im
Zusammenhang mit Deutschland ist die Formulierung jedem Schulkind geläufig.
Wulff hat sich ganz einfach der Sprache bedient, in der die politische
Geographie offenkundige historische Tatsachen bezeichnet: Amrum, Sylt, Föhr und
Helgoland gehören zu Deutschland. Gerade diese Selbstbeschränkung des Redners,
das Absehen von allem Werben und Plädieren zugunsten der schlichten
Feststellung eines Faktums, rief Ablehnung und Abwehr hervor. Auch so hatte das
sokratische Vorgehen eine aufklärerische Wirkung: Wulffs Kritiker offenbarten,
dass für sie das Vorhandensein deutscher Muslime nicht selbstverständlich ist,
keine von der deutschen Politik vorgefundene Gegebenheit wie der deutsche
Papst. Zu ihrem Deutschland gehört der Islam nicht. Ihr Deutschland ist ein
Deutschland ohne Islam.
Schäubles Satz
Mit großem Beifall auf allen Seiten war vier Jahre vorher,
am 28. September 2006, im Bundestag die Regierungserklärung aufgenommen
worden, in der Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble die Ziele der von ihm
einberufenen Deutschen Islamkonferenz erläuterte. Schäuble hatte fast dasselbe
gesagt wie später Wulff, ja, sogar noch mehr: «Der Islam ist Teil Deutschlands
und Teil Europas, er ist Teil unserer Gegenwart und er ist Teil unserer
Zukunft.» Teil Deutschlands, nicht Annex: Demnach gehört der Islam nicht wie
Helgoland zu Deutschland, sondern wie Hessen. Schäuble hatte sich seinen Satz
genau überlegt. In verschiedenen Varianten hatte er ihn schon in mehreren
Interviews lanciert, die in den Wochen vor dem ersten Plenum der Islamkonferenz
in der Presse erschienen. Das Unverfängliche sollte verfangen. Schäuble tat so,
als beschreibe er lediglich die tatsächliche Voraussetzung der von ihm
angesetzten Veranstaltung. Die Mengenlehre war bei ihm eine Teildisziplin der
Arithmetik: «Wir haben in unserem Land mehr als drei Millionen Muslime, und
damit ist der Islam ein Teil Deutschlands.» Der Satz hatte für das Unternehmen
der Konferenz programmatischen Charakter, gerade weil er der sprachlichen Form
nach kein normativer Satz war. Als Jurist weiß Schäuble, dass sich eine Tatsachenfeststellung
besonders gut eignet, um Verhaltenserwartungen festzuschreiben. Das Normative
wird dann als Faktisches behandelt und steht von vornherein jenseits der
Diskussion.
Im diplomatischen Setting der Islamkonferenz bezeichnete
die Teil-Ganzes-Formel Erwartungen an beide Seiten. Die Muslime sollten nicht
als Fremde oder Gäste behandelt werden, sondern alle Rechte von Bürgern
genießen und das Vertrauen, das für die Gesellschaft der Grundrechtsbesitzer so
etwas wie die Atmosphäre der Freiheit ist. Umgekehrt sollten die Muslime das
Grundgesetz nicht als fremde Ordnung ansehen, sondern als ihr eigenes Recht.
Mit der Auszeichnung des Islam als Teil des Landeskörpers war gleichzeitig so
vornehm wie eindeutig gesagt, dass die Muslime sich einzuordnen hatten. Das
war älteste konservative Staatsklugheit nach dem Vorbild des Menenius Agrippa,
des römischen Konsuls, der die Plebejer zur Rückkehr in die Stadt überredete,
indem er ihnen das Gleichnis vom Magen und den Gliedern erzählte. Wenn man
Schäuble über seine Islamkonferenz sprechen hörte, ahnte man hinter der
pragmatischen Nüchternheit des gewieften Unterhändlers eine geradezu mystische
Hoffnung auf ein Gemeinsames, das sich im Gang der Verhandlungen herstellen
sollte, indem beide Seiten ihr Interesse verfolgten. Wie eine hegelianische
Zauberformel wiederholte er den bei näherem Hinsehen ja gar nicht evident
wahren Satz, nach dem eine Weltreligion Teil eines Nationalstaats sein soll.
Bei der Einweihung der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Berliner
Humboldt-Universität am ii. Mai 2007 gab Schäuble seinem Ceterum Censeo eine
Wendung ins Appellative: Der Islam müsse zeigen, dass er zu einem Teil
Deutschlands werden wolle. Ungeduld und Geduld sind dasselbe, wenn man weiß,
was man will. Schäuble wollte vorankommen, indem er immer wieder dasselbe
sagte, etwa im Südwestrundfunk am 6. März 2009 und am 19. September 2009 als
Gast beim Berliner Fastenbrechen der Ditib. Dieser muslimische Dachverband ist
der deutsche Arm der türkischen Religionsbehörde. Vor Ditib-Funktionären
beschrieb der Satz vom Teil Deutschlands eine künftige, erwünschte
Tatsächlichkeit, die Schäuble durch den Verlauf der
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