Ballard, James G.
einige Jahre lang verstanden hatte, mehr schlecht als recht am
Fluß zu leben, war diese Umgebung ebenso künstlich wie einige Kiesel und
Wasserpflanzen in einem Aquarium. Wenn der Fluß nun endgültig versickerte,
blieb Philip Jordan mit einem ganzen Repertoire nützlicher Fähigkeiten zurück,
die er ebensowenig gebrauchen konnte wie ein gestrandeter Fisch seine Kiemen.
Bisher hatte er sich nur gegen die verhältnismäßig nachgiebige Natur
durchsetzen müssen, denn die Menschen hatten ihn meistens in Ruhe gelassen. Und
obwohl Philip keineswegs die Anlagen eines Verbrechers hatte, war er nicht über
kleine Diebstähle erhaben – woher stammten sonst die geheimnisvollen Geschenke:
Taschenmesser, ein Feuerzeug und sogar eine alte vergoldete Uhr? –, bei denen
er eines Tages, falls es nicht inzwischen regnete, erwischt und wie ein Hund
abgeknallt werden würde.
»Kommen Sie, Doktor!« Philip Jordan
stand an der Kabinentür und half ihm über die Reling. Der Schwan lag
bewegungslos in der Sonne und hob nur schwach den Kopf, als Ransom ihm den
Schnabel reinigte. Sein Gefieder war jedoch so mit Öl verklebt, daß er kaum
noch lebensfähig zu sein schien.
»Das hat alles keinen Sinn, Doktor!«
rief Philip Jordan ungeduldig. »Ich nehme ihn mit in die Kabine und wasche das
Öl gründlich ab.« Er hob den großen Vogel auf, dessen dunkle Schwingen schlaff
zu Boden hingen.
Ransom schüttelte bedauernd den Kopf.
»Tut mir leid, Philip, aber das ist ausgeschlossen.«
»Was?« Philip hielt den Kopf schief,
als sei er schwerhörig. »Was ist los?«
»Soviel Wasser habe ich nicht übrig.
Der Schwan ist schon fast tot«, antwortete Ransom fest.
»Das stimmt nicht, Doktor!«
widersprach Philip heftig.
»Ich kenne Schwäne besser als Sie –
sie erholen sich, auch wenn sie schon fast tot waren.« Er legte den Vogel vor
sich auf die Zeitung. »Hören Sie, ich brauche nur einen Eimer Wasser und etwas
Seife.«
Ransom sah unwillkürlich zu Catherine
Austens Villa hinüber. Sein Hausboot hatte nicht nur einen Wassertank auf dem
Kabinendach, sondern zusätzlich einen zweiten im Bug, der über achthundert
Liter enthielt. Zum Glück – eigentlich schämte er sich darüber – hatte er
Philip Jordan nie davon erzählt.
»Tut mir leid, Philip«, sagte er und
zeigte auf den Himmel. »Vielleicht regnet es erst in zwei oder drei Monaten –
vielleicht nie wieder. Wir müssen uns an eine gewisse Reihenfolge der
Prioritäten gewöhnen.«
»Danke, ich habe schon verstanden,
was Sie meinen, Doktor!« Philip Jordan machte die Leine los, an der sein Skiff
bisher gelegen hatte, und stieß sich von der Reling des Hausboots ab. »Schon
gut, dann suche ich eben selbst etwas sauberes Wasser. Der Fluß enthält noch
genug!«
Ransom sah ihm mit gerunzelter Stirn
nach, als der junge Mann so rasch davonruderte, daß sein Boot bei jedem Schlag
förmlich voranschoß. Der sterbende Vogel lag mit ausgebreiteten Schwingen vor
ihm in dem schmalen Boot, und die beiden Gestalten erinnerten Ransom
unwillkürlich an einen gestrandeten Seemann und seinen todkranken Albatros, die
das Meer verlassen hatte.
2
Nachdem Ransom den Fluß in einem
zufällig am Ufer liegenden Ruderboot überquert hatte, um sich den
beschwerlichen Fußmarsch über die Brücke zu sparen, ging er langsam durch die
verlassenen Straßen von Larchmont. Da schon seit Monaten kein Tropfen Regen
mehr gefallen war, lag eine dicke Staubschicht auf Straßen und Gehsteigen, in
die sich dürre Blätter, Papierfetzen, leere Flaschen, Blechdosen und andere
Abfälle mischten. Die zahlreichen Schwimmbecken vor den Häusern waren
ursprünglich mit Planen abgedeckt worden, damit das kostbare Wasser weniger
rasch verdunstete; inzwischen war die Leinwand jedoch überall längst
zerschnitten und hing in kümmerlichen Fetzen über die Ränder der Becken. Die
früher so gepflegten Rasenflächen unter Weiden und Platanen, die hübsch
angelegten Wege und die Ziergärten mit Rhododendronbüschen und Zwergpalmen
glichen jetzt einer verdorrten Einöde. Larchmont war bereits eine Wüstenstadt
zwischen dem ausgetrockneten See und dem allmählich versickernden Fluß, denn
innerhalb der Stadtgrenzen gab es nur noch wenige Wasserlöcher, die zudem rasch
unergiebig wurden und vermutlich schon innerhalb der nächsten Tage ebenfalls
ganz austrocknen würden.
Schon vor zwei oder drei Monaten hatten
viele Hausbesitzer in ihren Gärten zehn bis zwölf Meter hohe Türme errichtet,
deren jede Spitze eine kleine
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