Baltasar Senner 03 - Busspredigt
der Glasfabrik: neue Produkte, Jubiläen, Ehrungen. Der Bruch in der Berichterstattung kam mit der Ankündigung von Entlassungen.
Die Lokalzeitung schrieb über Pläne, Teile des Unternehmens zu verkaufen, sie führte vor Ort ein Interview mit dem Geschäftsführer, der solche Vorhaben leugnete. Es folgten Bilder von ersten Warnstreiks, die die Gewerkschaft organisiert hatte, Menschen mit Transparenten in der Hand, auf denen »Rettet den Standort« oder »Totengräber der Arbeitsplätze« stand.
»Moment.« Baltasar bat seinen Freund um eine Lupe. Er betrachtete eines der Streikfotos genauer. »Der Mann ganz links, könnte das Franz Kehrmann sein?«
Die Aufnahme war grobkörnig. Aber derjenige, der die Faust in die Höhe reckte, war eindeutig der Glasbläser.
»Da schau an«, meinte Philipp, »ein Gewerkschaftler, das hätte ich ihm gar nicht zugetraut.«
Sie suchten weiter und fanden Kehrmann noch auf einem anderen Foto mit der Überschrift »Die Wut der Entlassenen«.
Feuerlein kam in einer Reihe von Artikeln vor, er gab mehrere Interviews, in denen er die Rettung der Glasfabrik versprach, alle Schuld für das Versagen von sich wies und die Notwendigkeit von Personaleinsparungen verteidigte.
Als die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen des Verdachts auf Konkursverschleppung und Untreue zu Lasten des Unternehmens bekannt wurden, geizten die Reporter nicht mit hämischen Kommentaren. Feuerlein sei nicht nur als Manager eine Niete, hieß es, sondern auch noch ein potenzieller Krimineller, der dem Unternehmen und der Belegschaft schade. Genüsslich zerpflückten die Redakteure seine früheren Aussagen und holten Stimmen von Experten ein, die die Fehler des Geschäftsführers analysierten und Ratschläge zur Sanierung gaben.
Anton Graf kam ebenfalls mehrfach zu Wort. Er gefiel sich in der Rolle des Patrons, der schwer enttäuscht war von seinem Zögling und Kompagnon Feuerlein, der die Fabrik in den Schlamassel geritten hatte. Der Haupteigentümer des Unternehmens beklagte den Niedergang der traditionsreichen Firma, die sein Urgroßvater gegründet hatte, und schwelgte in Erinnerungen an glorreiche vergangene Zeiten.
In einer Reportage ermöglichte Anton einem Reporter den Blick hinter die Kulissen der Angra, führte ihn durch die Firma und in sein privates Büro. Fast eine Seite hatte das Blatt für Fotos und Text reserviert, es wirkte wie eine Werbestrecke, Anton in der Werkstatt, Anton im Gespräch mit Mitarbeitern, Anton beim Empfang von Gästen, Anton hinter seinem Schreibtisch.
Philipp wollte die nächsten Kopien aus dem Karton holen, als Baltasar plötzlich »Stopp!« rief. Er nahm wieder die Lupe zur Hand. »Bei Gott! Sieh dir das an!« Seine Stimme überschlug sich fast. »Auf den Fotos!«
»Was meinst du? Hast du darauf den Heiligen Geist gesehen?« Philipp wurde neugierig. »Sagst du mir, um was es geht, oder ist das ein Bilderrätsel?«
»Die Lampe an der Decke in der Empfangshalle.« Baltasar zeigte auf die Stelle. »Fällt dir da was auf?«
»Ein Kronleuchter, na und? Ein hässliches Ding.«
»Es ist … Ja, es ist der Kronleuchter, der in Antons Haus hängt, ich bin sicher. Hol die anderen Fotos!«
Sie verglichen die Darstellungen. Es war eindeutig der selbe Kronleuchter.
»Unwahrscheinlich, dass es einen Doppelgänger gibt«, sagte Philipp. »Sehen wir uns nochmals die Aufnahmen aus Grafs Büro an.«
Baltasar wunderte sich, wie sie das zuerst hatten übersehen können: In dem Büro hingen mehrere Ölgemälde, die Werke, die der Dieb mitgenommen hatte. Zwei weitere Bilder hingen im Aufgang zur Chefetage. Obwohl sie in dem Zeitungsausschnitt nur klein zu sehen waren, lieferten die Vergleichsfotos den Beweis: Anton Graf hatte sie in sein Haus mitgenommen und dort deponiert.
»Rätsel gelöst«, sagte Philipp. »Da sage noch einer, meine Recherchen seien nutzlos. Jetzt stellt sich nur noch eine Frage: Wem gehören die Kunstwerke tatsächlich?«
40
D as Büro des Rechtsanwalts war in der Adolph-Kolping-Straße in Regensburg. »Dr. Herbert Schneider & Partner« war in das Glas der Eingangstür geätzt. Die Frau am Empfang setzte ein professionelles Lächeln auf, das für Besucher reserviert war, die einem verdächtig vorkamen.
»Guten Tag, was kann ich für Sie tun?« Was wohl in Wirklichkeit so viel heißen sollte wie »Haben Sie sich in der Tür geirrt?«. Vielleicht lag es daran, dass Baltasar Jeans und Blouson trug.
»Mein Name ist Senner, ich hatte angerufen. Herr
Weitere Kostenlose Bücher