Baltasar Senner 03 - Busspredigt
Doktor Schreiber erwartet mich.«
Sie sah in ihrer Liste nach. »Da haben wir’s, Herr Pfarrer Senner.« Ihr Lächeln wechselte in den Also-gut-wenn-es-sein-muss-Modus. »Bitte folgen Sie mir.«
Das Büro des Anwalts war bestückt mit Einrichtungsgegenständen aus Glas und Chrom, selbst der Aktenschrank bestand aus einem Chromgestänge mit gläsernen Einlegeböden.
»Herr Senner, Ihr Anruf kam überraschend«, sagte Herbert Schneider. »Das Mandat liegt nämlich schon lange zurück. Aber als Sie den Namen Anton Graf erwähnten, hat es bei mir natürlich sofort geklingelt. Herr Graf war nämlich erst vor wenigen Wochen noch bei mir in der Kanzlei.«
»Anton war hier? Was wollte er?« Die Überraschung war dem Rechtsanwalt gelungen.
»Bitte immer der Reihe nach, Hochwürden. Mir ist nicht ganz klar, warum Sie der Fall interessiert und warum ich Ihnen Auskunft geben sollte.«
Baltasar lieferte eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse und seiner speziellen Verwicklung in den Fall. »Der Mord hat unsere Gemeinde sehr erschüttert. Es sind einige Fragen offen, die wir klären möchten, das würde vielen Menschen etwas bedeuten.« Vor allem mir selber, dachte Baltasar, aber das sagte er nicht, sondern er verlegte sich auf eine spezielle Version der Wahrheit, der Allmächtige würde es ihm verzeihen. »Außerdem vertrete ich einige ehemalige Mitarbeiter der Glasfabrik, die durch den Konkurs viel verloren haben und endlich Aufklärung über die Vermögenslage des Unternehmens wünschen. Hatten Sie in der Zeitung nichts über die Ermordung Anton Grafs gelesen?«
»Natürlich habe ich die Nachricht registriert, wenn auch nur am Rande.«
»Mich wundert es ein wenig, dass Sie nicht zur Polizei gegangen sind.«
»Ich sehe da keinen Zusammenhang. Laut Artikel ist Herr Graf einem Raubüberfall zum Opfer gefallen. Wenn das mit meinem früheren Auftrag zu tun hätte, würden sich die Behörden schon bei mir melden. Außerdem erlauben Sie mir einen Vergleich: Wenn jemand Ihren Gottesdienst besucht und Tage später überfallen wird, würden Sie auch keine Verbindung zu dieser Tat herstellen.«
»Warum hat Anton Sie aufgesucht, wenn die ganze Sache längst erledigt war, wie Sie sagen?«
»Ich darf Sie korrigieren, Herr Pfarrer, der Auftrag ist lange her. Aber die Akten sind noch immer nicht geschlossen.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Ich wurde damals vom Gericht als Konkursverwalter eingesetzt. Meine Aufgabe bestand unter anderem darin, die Vermögenswerte festzustellen, eine Aufstellung von Schulden und Ansprüchen Dritter zu machen und nach Möglichkeiten zu suchen, Aktiva zugunsten der Gläubiger zu verwerten, das heißt einen Investor zu finden, das Unternehmen als Ganzes zu verkaufen oder Teile zu veräußern.«
Der Anwalt faltete die Hände.
»Der Job ist größtenteils erledigt, aber es ist noch Restvermögen zu verwerten, einige Grundstücke der Angra, die leider kontaminiert sind, das heißt auf gut Deutsch mit Chemikalien verseucht. Finden Sie mal dafür einen Käufer! Deshalb werden Sie verstehen, dass der Fall in unserer Kanzlei ruht, bis sich wider Erwarten eine Gelegenheit bietet, die Akten endgültig zu schließen.«
»Und wie passt Herr Graf da rein?«
»Ich kenne ihn als Mehrheitseigentümer der Angra, wir hatten damals eine Vielzahl von Gesprächen. Aber ich war von seinem letzten Besuch auch überrascht, nach all der Zeit. Ganz klar war mir der Zweck nicht, am besten lässt er sich wohl mit Neuanfang umschreiben.«
»Neuanfang? In Antons Alter?«
»Er sagte, es seien noch Rechnungen offen, im übertragenen Sinn. Das wolle er klären.«
»Was meinte er damit?«
»Nun, er fragte mich, wie seine Chancen seien, Geld aus alten Forderungen einzutreiben. Und ob er weitere Markenrechte verkaufen könne, die ihm noch gehörten. Soweit ich es aus seinen Andeutungen heraushören konnte, ging es darum, jemanden wegen Schadenersatzes zu belangen, Vorauszahlungen und Kredite zurückzufordern, die er früher geleistet hatte.«
»Ich dachte, Anton hatte eigenes Vermögen?«
»Offenbar wollte er wegziehen und brauchte dafür zusätzliche Barmittel. Ich weiß aus dem Insolvenzverfahren, dass Herr Graf als Haupteigentümer einige Überbrückungskredite gegeben haben muss. Aber die Originalverträge waren nicht auffindbar, und Herr Graf wollte damals keine Angaben machen und keine Dokumente vorlegen. Wie überhaupt die Buchhaltung der Angra sehr unvollständig war.«
»Haben Sie als Konkursverwalter nicht darauf
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