Baltasar Senner 03 - Busspredigt
war Zeit zu gehen, doch der Allmächtige setzte in seiner Weisheit für den nächsten Tag eine neue Aufführung an, alles verschwand im Vergessen, nur Gedankenfetzen blieben hängen wie Stoff an Dornen. Und der Weihrauch, das jahrtausendealte Elixier zur Verbannung des Todes, zur Beschwörung des Lebens, rückte alles ins rechte Licht und löste den Schmerz.
Es klopfte und kratzte in Baltasars Kopf. Er schüttelte sich, der Lärm war nicht abzustellen. Er zwang sich, stillzuhalten, seine Gedanken auszuschalten, was sich jedoch als unmöglich erwies. Wie ein böser Geist legte sich das Geräusch über sein Bewusstsein, er sah seinen Küchentisch vor sich. Nicht nur eine Vision war es, sondern sein Küchentisch, darauf die Messingschale. Baltasar torkelte zum Fenster und riss es auf. Einatmen. Ausatmen.
Die Jungfrau Maria zeigte sich im Gemüsegarten – oder spielte ihm sein Gehirn einen Streich?
Ein Klopfen, gefolgt von einem Klirren, als ob Glas zerbrochen wäre. Die Fenster des Pfarrhauses waren noch unversehrt, also musste es etwas anderes sein. Die Geräusche kamen offenbar vom Nachbargrundstück, von Anton Grafs Haus.
Das konnte nicht sein, Graf hatte keinen Besuch gehabt. Baltasar ging nach draußen, stolperte über eine Gießkanne, wankte zum Gartenzaun, achtete darauf, die Gemüsepflanzen nicht niederzutrampeln, denn Teresas Donnerwetter wollte er sich ersparen. Es war nichts zu hören, nur das Geschrei einiger Krähen, und in der Ferne tuckerte ein Traktor.
Hatte er sich geirrt? Sein Schädel hämmerte. Er sehnte sich nach seinem Bett. Ein dumpfer Ton drang aus Grafs Haus. Doch ein Gast? Ein Haustier? Sein Nachbar hatte beides gehasst.
Baltasar überlegte, was er tun sollte. Eigentlich ging ihn das alles nichts mehr an. Andererseits … Wer machte sich in Grafs Haus zu schaffen? Er hievte sich über den Zaun, blieb mit einem Bein hängen und fiel auf der anderen Seite ins Gras. Er hielt die Augen geschlossen und stellte sich vor, einfach liegen zu bleiben und einzuschlafen.
Ein Impuls, ein neues Geräusch, hielt ihn davon ab. Er rappelte sich mühsam auf und ging zur Haustür.
Anton Grafs Grundstück entsprach ganz dem Ideal eines Schrebergartens. Wie mit der Richtschnur gezogene Reihen von Blumenrabatten, der Weg zwischen den Beeten mit Natursteinen gepflastert, vor den Nutzpflanzen steckten Schildchen, auf denen die Sorte und das Pflanzdatum vermerkt waren. Deko-Windräder schmückten die Ecken, Betonsteine fassten die Kanten ein, farbige Glaskugeln – dem Muster nach zu urteilen Stücke aus dem Bayerischen Wald – leuchteten zwischen den Büschen.
Baltasar klingelte. Nichts tat sich, er klingelte nochmals und wartete. Stille.
»Hallo, ist jemand da?«
Er klopfte an die Tür. Niemand schien ihn zu hören. Er ging um das Haus herum. Ein fremdes Fahrrad lehnte an der Wand, ein Modell für den Bergeinsatz, mit Scheibenbremsen und Stollenreifen. Das Küchenfenster war eingeschlagen, Glasscherben lagen auf dem Boden. Ein Fensterflügel stand offen, darunter war eine Gartenbank geschoben. Baltasar stieg darauf, seine Beine zitterten ein wenig, als er sich am Rahmen hochzog.
Er spähte in die Küche. Kaffeegeschirr stand auf dem Tisch, in der Spüle eine Kanne. Es sah aus, als sei Anton Graf überstürzt aufgebrochen und wollte später aufräumen, denn Unordnung war ihm immer ein Graus gewesen. Die Tür zum Gang stand offen.
»Hallo, hören Sie mich?« Baltasar rief, so laut er konnte. »Hallo! Zeigen Sie sich, ich weiß, dass jemand im Haus ist.«
Er wartete. Keine Reaktion.
»Hören Sie, wer immer Sie sind, wenn Sie sich nicht sofort zeigen, rufe ich die Polizei!«
War er unvorsichtig? Was, wenn der Einbrecher bewaffnet war? Er konnte nur hoffen, dass ihm sein oberster Arbeitgeber ein paar Schutzengel schickte.
Zumindest konnte er jetzt wieder klar denken, die Wirkung des Weihrauchs hatte nachgelassen. Im Haus wurde eine Tür geöffnet.
»Hallo, hier in der Küche, bitte.« Baltasar hoffte, seine Worte wirkten beruhigend. Schritte. Im Türrahmen tauchte eine Gestalt auf: ein Mann Mitte 20, schlaksige Figur, Bürstenhaarschnitt, die Jeans war zu Shorts gekürzt, darunter trug er eine Radlerhose. Das T-Shirt war mit dem Namen einer Rockband bedruckt. Beim Näherkommen bemerkte Baltasar, dass der junge Mann auch Radlerhandschuhe trug.
»Was suchen Sie hier auf diesem Grundstück? Sie wohnen doch nicht hier!«
Baltasar war verblüfft über die Begrüßung des Unbekannten, er hatte Ausreden
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