Banditenliebe
Namen wusste ich nicht. Max hatte ihn angestellt, einen der üblichen Illegalen, der am Monatsende einen Beitrag zur Schmiergeldzahlung leisten musste, um nicht ausgewiesen zu werden. Ich bestellte Wasser und Wodka für unseren Freund.
Eine irreale Stille senkte sich auf unseren Tisch, die Beniamino unterbrach: »Ich hab geheult auf dem Weg hierher. Verzweifelt geheult … Dabei habe bislang ich die anderen zum Heulen gebracht.«
Das stimmte. Zum ersten Mal fühlten wir uns völlig verloren, und das waren wir nicht gewohnt. Wir hatten nicht die geringste Idee, wo Sylvie sein mochte, denn der Typ, dem der Ring gehört hatte, war ein Unbekannter gewesen; wir hatten nie nach seiner Identität geforscht. Beniamino hatte ihn nicht mit einem Kopfschuss erledigt, um uns in eine Sache hineinzuziehen, mit der wir nichts zu tun haben wollten. Vielmehr war es ein Akt der Selbstverteidigung gewesen, der ohne Konsequenzen bleiben würde, da waren wir sicher. Ein Riesenirrtum.
Ich zündete mir eine Zigarette an. Sie schmeckte metallisch, was ich mit einem Schluck Calvados wegzuspülen versuchte. Rossini griff nach dem Päckchen. »Wir müssen was unternehmen, Leute, ich dreh gleich durch und will euer Lokal nicht zerlegen, dafür hab ich es zu gern.«
Wir traten vor die Tür und atmeten die Spätoktober-Luft ein. Dann setzten wir uns in seinen Wagen und fuhren los. An der Mautstelle von Padua begegneten wir ein paar Streifenwagen der Carabinieri. Die Bullen würden als Letzte von Sylvies Verschwinden erfahren, falls denn überhaupt jemand sie informieren würde, zum Beispiel, um sich bei ihnen lieb Kind zu machen. Das hier war eine Gangstersache, mit fast mathematischer Sicherheit dazu bestimmt, übel auszugehen. Kein Richter, Anwalt oder Scheißgericht war imstande, die Dinge zu regeln. Jemand wollte uns an den Kragen. Das war die einzige Sicherheit, die wir haben konnten auf unserer Fahrt nach Osten.
Wir suchten Sylvie zehn Tage lang. Überall. Krempelten den Nordosten um wie eine Socke und nervten alle, die etwas wissen mochten. Der alte Rossini war wie ein verwundetes wildes Tier. Wenn Max und ich mit den Leuten redeten, stand er abseits, aber alle betrachteten ihn voller Sorge. Allein schon sein Anblick war angsteinflößend. Wir scheuten uns nicht, gegen Ordnung und Anstand zu verstoßen oder Hierarchien zu verletzen. Auf Gegenliebe stießen wir damit nicht.
Ein Bulgare, der einen Stall von Huren am Laufen hatte und sämtliche Tricks kannte, eine Frau außer Landes oder hinein zu schaffen, beschimpfte uns, wir sollten ihn nie wieder belästigen. Ihn besuchte Beniamino mitten in der Nacht wieder und hielt ihm den Pistolenlauf an die Stirn, wobei er eine Zigarette rauchte und an die weiße Wand schaute. Der Mann war sicher, dass er jetzt sterben müsse, und wurde ohnmächtig. Da ging der alte Rossini, und erst in diesem Moment fiel ihm die in Todesangst erstarrte Frau unter der Bettdecke auf.
»Die Situation ist nicht mehr haltbar«, sagte ich am Ende eines höchst angespannten Abendessens in einem Restaurant in Udine. »Bald fangen sie an, auf uns zu schießen.«
»Ich liebe Schießereien«, entgegnete Beniamino.
»Du hast den Verstand verloren«, flüsterte ich. »Wenn auch mit gutem Grund. Wir müssen jetzt entscheiden, ob wir uns selbst zerstören oder uns der Wahrheit über Sylvie stellen wollen.«
»Was du da sagst, gefällt mir ganz und gar nicht«, platzte Rossini heraus.
Ich wählte meine Worte mit Bedacht. »Ich weiß, aber es hat keinen Zweck, sie weiter so zu suchen. Sie ist nicht hier. Entweder ist sie tot, oder sie haben sie sonst wohin gebracht.«
»Marco hat recht«, pflichtete Max mir bei. »Wir müssen bei dem Typen mit dem Ring anfangen, herausfinden, wer er war, und dann Schritt für Schritt ermitteln, wer dahintersteckt.«
»Und in der Zwischenzeit sind wir eine leichte Zielscheibe«, wandte Rossini ein.
Ich seufzte. »Das waren wir die ganze Zeit. Nach Sylvies Verschwinden, aber auch schon vorher. Wenn sie uns kaltmachen wollten, hätten sie es längst tun können. Unsere Wut hätte sie nicht daran gehindert.«
»Die haben andere Pläne«, meinte der Dicke.
Beniamino sah mich forschend an und dachte über das Gesagte nach. »Ich bin müde«, gab er zu. »Gebt mir ein paar Tage zur Erholung.«
Wir kehrten nach Punta Sabbioni zurück, wo er mit Sylvie lebte, doch er wollte die schöne, aber leere Villa nicht betreten. Stattdessen ließ er sich zum kleinen Hafen bringen, machte das
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