Bangkok Tattoo
Wiederaufforstung und Verschönerung Isaans.«
Ich sehe ihn verblüfft an. Er reagiert mit einem Achselzucken. »Frag mich nicht, warum.«
»Zinna wird glauben, daß Sie dahinterstecken.«
»Ich weiß. Wieder einer dieser schrecklichen Zufälle.«
Allzugroße Sorgen scheint er sich wegen der Sache mit Zinna nicht zu machen. »Keine Ahnung, wie die Verbindung aussieht. Das hier hat nicht das geringste mit mir zu tun. Aber wieso setzen wir uns mit dem Warum auseinander, wenn wir wissen, wer verantwortlich ist?«
Ich nicke Vikorn zu.
»Die Leute von der Spurensicherung kommen gleich. Ich habe noch etwas Wichtiges zu erledigen«, erkläre ich dem Hausmädchen an der Tür. Draußen auf der Straße winke ich ein Motorrad heran, um zu Chanya zurückzufahren. Unterwegs höre ich den Signalton für eine SMS:
Sie haben sie. Sie wollen ihre Tätowierung.
45
In unserem Liebesnest hallen unsere geflüsterten Schwüre nach. Ich habe Mühe mit dem Atmen, weil Bilder von ihrer möglichen Verstümmelung mein Gehirn überfluten. Ich hatte sie geliebt, lange bevor ich ihr Gesicht oder ihren Namen kannte, und besaß keinerlei Bedürfnisse, bevor sie mein Leben in hellem Licht erstrahlen ließ. Nun kann ich nicht mehr in die Düsternis meines Daseins vor Chanya zurück. (Im Vergleich zu ihr verblaßt sogar der Buddha.) Ich habe keine Ängste außer der, sie zu verlieren. Fast bin ich zu schwach, um die neue SMS zu lesen:
Komm her und bring eine Million US-Dollar mit, Scheine mit nicht aufeinanderfolgenden Nummern. Hilf mir, sie zu retten.
Dann folgt eine Adresse am anderen Ende der Stadt, bei der Khao San Road. Ich rufe Vikorn an. Unter den gegebenen Umständen erscheint mir eine Million beinahe bescheiden – er wird mir sofort einen Boten damit schicken.
»Brauchst du Leute? Wir könnten das Gebäude einfach in die Luft jagen.«
»Mit ihr?«
»Wie du meinst. Wenn du’s nicht schaffst, gehe ich mit einem Einsatzkommando rein, und dann muß sie sehen, wo sie bleibt. Scheiß-Chiu-Chow.«
Das lieblos in einer Plastiktüte verstaute Geld bringt mir ein junger Beamter, den Vikorn seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen ziemlich eingeschüchtert hat.
Wieder einmal sind die Straßen bis zur Sukhumvit hoffnungslos verstopft. Es gelingt mir nicht, durch Meditation Ruhe zu finden. Im Augenblick bin ich wie alle anderen Lebewesen dem Karma ausgeliefert. Als wir endlich auf der anderen Seite der Stadt ankommen, liegen meine Nerven blank, meine Augen tränen, und die Hand mit dem Geld zittert. In meinem Gehirn wimmelt es von ausgesprochen unbuddhistischen Gedanken. Ich überlege, was ich mit den Typen anfangen werde, falls sie es gewagt haben sollten, sie anzurühren. Gleichzeitig versuche ich wie jeder Anfänger, den Buddha zu bestechen. Ich bin bei drei Schweinsköpfen und tausend Eiern angelangt, als wir in die Khao San Road einbiegen. Soweit ich mich erinnern kann, war nicht einmal die Geburt anstrengender.
Nun, keiner beherrscht die Kunst der Antiklimax besser als der Buddha. In diesem Viertel gibt es noch einige alte Teakholzpfahlhäuser, die meisten von ihnen Pensionen für nostalgiesüchtige farangs. Dieses hier ist nicht sonderlich gut in Schuß; es sieht fast ein bißchen heruntergekommen aus mit dem üppig wuchernden Unkraut in seinem tropischen Garten. An der Wand neben dem Eingang befindet sich ein Schild mit der Aufschrift »TATTOO« in Thai, Englisch und Japanisch. Alle Fenster sind mit Läden verschlossen, und auf der Straße steht ein metallicgrauer BMW mit Fahrer. Auf mein Klopfen öffnet sich umgehend die Tür. Ein gutgekleideter Chinese Anfang Dreißig mustert mich kurz. Als er die Plastiktüte sieht, läßt er mich mit einer leichten Verbeugung ein. Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hat, deutet er auf eine weitere zu einem großen, das gesamte Erdgeschoß einnehmenden Raum.
Licht dringt durch die Ritzen in den Teakholzläden und erhellt Ausschnitte der Wände, an denen Bilder, geometrische Entwürfe und grotesk vergrößerte Fotos von tätowierten männlichen und weiblichen Körpern hängen, die meisten davon bis auf die Tinte nackt. Die Wirkung ist so stark, daß ich die auf dem Boden sitzenden Menschen zuerst überhaupt nicht bemerke. Gauguins Hütte auf Tahiti stelle ich mir so vor. Hier in diesem großen alten Raum hat der Tätowierer seiner Phantasie freien Lauf gelassen. Anklänge an Hokusai, Hieronymus Bosch, Warhol, van Gogh und Picasso treten in Wettstreit mit Graffiti im Stil der Tokioter
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