Bank, Zsuzsa
glaubten,
warum eine Libelle in Zigis Nacken saß, warum er sie hatte loswerden wollen und
es ihm in all den Jahren nie gelungen war. Aja schrie in den Hörer, damit Zigi
etwas auf diese eine Frage erwidern würde, obwohl Aja schon selbst beantworten
konnte, wer Libelle war, und niemanden brauchte, der es noch für sie
aussprechen würde. Als sie aufgelegt hatte, setzte sie sich auf den Drehhocker
in der Kabine, und ich ließ ihr eine Weile, bis ich kaum hörbar an die Tür
klopfte, sie öffnete und Aja flüstern hörte, als wolle sie nicht, dass ein
anderer, dass noch jemand außer mir hören würde, wie sie sagte, meine Mutter
ist eine Filmaufnahme, Seri, ich bin die Tochter einer Filmaufnahme.
Ich weiß nicht mehr, wie wir es an
diesem Tag zurückschafften, wie es uns gelang, durch einen gleißend hellen
Junitag in unsere Straße zu finden, an den Brunnen unsere Hände ins Wasser zu
tauchen und dann in den Nacken zu legen, wie wir es schafften, die Treppen
hochzugehen, und wie es Karl und mir später gelang, Aja immer wieder zu sagen,
nein, eine Filmaufnahme ist nicht deine Mutter, Évi ist deine Mutter, jedes
Mal, wenn Aja diesen verrückten Satz ausgesprochen hatte. Karl hatte sein altes
Gesicht wieder, er sagte, es ist gleich, wer Libelle ist, Évi ist deine Mutter,
sie war es von Anfang an, niemand anderes, aber Aja schüttelte den Kopf, als
wolle sie es abwehren, als wolle sie nichts von dem hören, was wir ihr zu sagen
hatten, und sie blieb dabei, sie erwiderte stur, als müsse sie es für sich
selbst wiederholen, nein, sie ist es nicht, sie war es nie, von Anfang an
nicht. Etwas an der Art, wie Zigi von Libelle erzählt hatte, und wie Aja es
jetzt Karl und mir erzählte, ließ uns nicht wütend auf sie sein, obwohl sie Aja
an einen Abgrund gedrängt hatte und wir nicht wussten, wie wir sie dort
wegziehen sollten, jetzt, da Libelle Zigi nach fünfundzwanzig Jahren wiederbegegnet
war, an einem Ort, an dem sie ihn nie vermutet hätte, und ihr mit einem Mal die
Kraft abhandengekommen sein musste, die Filmspule weiter wie einen Schatz zu hüten
und nicht mit einem roten Stift in großen Buchstaben zum ersten Mal den Namen
ihrer Tochter zu schreiben, die sie nach den ersten Wochen nie mehr gesehen
hatte.
Etwas ließ uns milde mit ihr sein,
schon wegen der Vorstellung, sie habe mit Ajas Foto im Gras gesessen und sei
mit den Fingern über Ajas Haar und die Pailletten ihres Kostüms gefahren. Aber
auf Zigi waren wir wütend. Er hatte Aja belogen, in jedem Jahr, an jedem Tag,
den sie zusammen verbracht hatten, hatte er sie belogen. Seine Geschichten,
die er uns erzählt hatte, wenn der Sommer in den Herbst übergegangen war und
wir im großen Tuch zwischen Évis Bäumen geschaukelt hatten, wenn Aja manches
für mich hatte übersetzen und Zigi die Wörter liefern müssen, die ihm fehlten,
waren erfunden gewesen. Nicht nur die Zugfahrt mit dem kleinen Hund, den er
Otto genannt, und die Butterbrote, mit denen er ihn gefüttert hatte - alles
war immer nur erfunden gewesen, und die Wahrheiten, die er Aja hätte sagen
müssen, hatte er verschwiegen, aus Angst, sie wären nicht gut genug, um erzählt
zu werden. Zigis Welt war verdreht, Zigi hatte sie nach seinem Geschmack
zusammengesetzt und mit jedem Sprung vom Trapez wieder auf den Kopf gestellt.
Er hatte die Wahrheiten verteilt, wie es ihm gefallen hatte, und wenn er sagte,
ein Hund habe ihn aus einem Bergwerk gerettet, war es eben so gewesen. Nur in
seiner Vorstellung war er nach Norden gefahren, hatte den Hafen erreicht und
das Schiff gesehen, aber er hatte es erzählt, als sei es geschehen, damit Aja
schon früh ein Bild von einem Schiff und einer Reise haben konnte, die Zigi
jeden Herbst über ein weites Meer trug. In welchem Krieg hätte er auch kämpfen
sollen, es hatte keinen gegeben, in dem Zigi mit dem Flugzeug über England
hätte abstürzen können, jedenfalls nicht zu seiner Zeit. Vielleicht hatte ihm
die Geschichte jemand zugetragen, und er hatte sie für Aja weitergesponnen,
weil das Spinnen von Lügen zu seinem Leben gehörte, auch wenn er es nicht so
genannt hätte.
Mit der Filmrolle, die in unserer
Küche lag, waren auch diese Geschichten verloschen, selbst die harmlosen und
vergessenen hatten sich aufgelöst im blendend grellen Licht, mit dem der
Projektor eine Frau im Libellenkostüm an die Wand über unserer Spüle geworfen
hatte. In Ajas Leben, in den fünfundzwanzig Jahren ihres Lebens passte nichts
mehr. Libelle hatte selbst Zigis Sommer
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