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Bank, Zsuzsa

Bank, Zsuzsa

Titel: Bank, Zsuzsa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die hellen Tage
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Schwestern und Ärzte mit verschränkten Armen
verbeugt und mit der Nase ihre spitzen Knie berührt. Aja hatte nie nach der
Wahrheit gedrängt, sie hatte mit kleinen und großen Lügen gelebt, mit
erfundenen Geschichten, und es hatte sie nicht gekümmert, wenn sie auseinandergefallen
waren, sobald sie eine davon berührt hatte. Aber jetzt hatte sie mit ihren
Sprüngen und Drehungen zeigen wollen, wer sie war und woher sie kam, von einer
Frau im Libellenkostüm, die aussah wie sie selbst, als Erwachsene noch immer
wie ein Mädchen, das mit seinen Armen und Beinen anstellen konnte, was ihm
gerade einfiel.
     
    Rom machte uns den Abschied
leicht, die Stadt hatte uns liebgewonnen und nach einer Gewitternacht milden Regen
geschickt, hatte die Wolken gefärbt und die Hitze mitgenommen, als sollte es
zu Beginn dieses heißen Sommers schon Herbst werden. Ein gelber Schleier legte
sich am Abend auf die roten Dächer, über die wir vom Küchenfenster schauten,
bevor wir unsere leeren Gläser in die Spüle stellten, Karl unsere Taschen nahm
und über die breiten Stufen hinabtrug. Aja sah auf Karls Hände, und als sei sie
nach Tagen zu sich gekommen und habe zum ersten Mal wieder einen Blick für
Karl, fragte sie, warum sie verbunden seien. Karl drehte sich zu ihr, und
damit er nicht antworten musste, sagte ich, er hat sich an deinen Weihnachtskugeln
geschnitten, an Kirchblüter Weihnachtskugeln, du hast sie auf die Straße
geworfen, und wir haben sie zusammengefegt. Ich konnte nicht anders, ich musste
es wie einen Vorwurf klingen lassen, als sei Aja verrückt geworden und zwinge
mich, ihr Dinge zu erklären, die keine Erklärung brauchten, als wisse sie nicht
mehr, was sie mit Karl noch wenige Tage zuvor verbunden hatte, als sei plötzlich
alles umsonst gewesen, als habe Karls Blick sie umsonst getroffen, als sei ich
umsonst nach Kirchblüt abgereist und als seien Aja und Karl mir umsonst
nachgefahren und hätten mich umsonst nach Rom zurückgeholt.
    In Termini blieb Karl an der
Sperre zum Bahnsteig zurück, und als falle ihm nichts Gescheiteres zu Libelle
ein, sagte er, in diesem Ton, in dem er die Dinge oft abwehrte und uns sonst
immer zum Lachen brachte: Nett sah sie doch aus. Der Zug fuhr uns langsam, viel
zu langsam aus Rom hinaus, als fehle ihm die Kraft und er müsse angeschoben
werden. Früher war unser letzter Blick auf die Wäsche vor den Häusern gefallen,
die uns wie Fahnen geleitet und zum Abschied gegrüßt hatten. Jetzt sahen die
Fassaden kahl aus, die Läden waren geschlossen, als weigerten sich alle außer
Karl, Abschied von uns zu nehmen, als wolle niemand wahrhaben, dass Aja die
Stadt verließ. Ich hatte aufgehört, mich zu fragen, warum die Züge in den
Norden des Landes immer leer und die Züge in den Süden immer überfüllt waren, seit
ich den Norden gesehen hatte, mit seinen endlosen flachen Landschaften und
seinem weißen Himmel. Ich war sicher, Aja würde nicht in Kirchblüt bleiben
wollen, wohin sie schon seit einer Weile nicht mehr zu passen schien. Sie würde
nach Rom zurückkehren, ob wir nun eine Münze geworfen hatten oder nicht. Aber
am Morgen, als wir über die Schweizer Grenze fuhren, als wir unsere Pässe
zeigten und ich fragte, willst du wieder nach Rom zurück, sagte sie, ich will
nirgendwo mehr hin.
Der heißeste Tag des Jahres
    Niemand wusste, wir würden kommen.
Ich hatte meiner Mutter nicht geschrieben. Wir wollten nicht, dass sie uns in
Heidelberg am Bahnhof abholen und nach Kirchblüt fahren würde. Wir wollten
allein sein, uns wie Diebe still und heimlich nähern, allein aus dem Bus
steigen, unter den Kastanien die Straße hinab, zur Brücke über den Klatschmohn
gehen, wo die Steine lagen, von denen Karl einen aufgehoben und durch Ajas
Fenster geworfen hatte. Wir wollten so lange warten, bis Aja bereit wäre, an
den Feldern mit Mais und Weizen entlangzulaufen und an eine Tür zu klopfen, von
der sie seit wenigen Tagen nicht mehr wusste, was sich die letzten zwanzig
Jahre hinter ihr wirklich zugetragen hatte. Jetzt, da ihr alles im Licht der
Lüge erschien, wollte Aja hören, zu welchem Lied, in welchem Reigen Libelle mit
Évi und Zigi getanzt hatte, als noch niemand an Aja gedacht hatte, und wie sie
sich später voneinander gelöst und Libelle abgestreift hatten, in dem Sommer,
in dem Aja geboren worden war. Bevor sie losging, sagte sie, sie könne die
Fliegen und Weberknechte in ihrem Haar nicht vergessen, ihre filzigen Strähnen,
die Évi hätte abschneiden müssen, als befehle

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