Bankgeheimnisse
außen, und ein Mann stand im Rahmen. Es war der pockennarbige Junge, der sie und Fabio hierhergefahren hatte, aber sie sah ihn nicht an. Ihr Blick wurde magnetisch angezogen von dem, was in dem Kellerraum vor ihr war. Das Blut sickerte in einen Gully in der Mitte des Raumes. Jorge lag so, daß es abfließen konnte, aber dennoch hatte sich zwischen seinen Schenkeln eine großflächige Lache gebildet, ein Gemisch aus Blut, Urin, Kot. Johanna stand mit herabhängenden Armen da. Auch davon wußte sie, von jenem Akt, mit dem die Camorra Frauenschänder strafte. Wenn sie in sein Gesicht schaute, würde sie nicht nur das im Tod gebrochene Silberauge sehen, sondern auch das Stück seines Fleisches, das sie ihm zwischen die Zähne gezwängt hatten. Sie schaute nicht hin, sondern schloß statt dessen die Augen. Sie sah ihren Bruder mit aufgerissener Halsschlagader, sekundenschnell verblutend im Flur des Penthouse. Leo, zerbrochen wie eine Puppe im Straßengraben. Klingenberg, im Tod gekrümmt neben seinem Schreibtisch.
Als sie die Augen wieder aufschlug, sah sie Ernesto. Gegen die Wand gelehnt, die Arme vor der breiten Brust verschränkt, musterte er sie mit kühlem Interesse. Drei, vier andere Männer standen in lockerer Gruppe zusammen, stumm und abwartend. Ein weiterer hielt ein Handy ans Ohr und sprach leise und schnell hinein. Johanna erkannte in ihm den Mann, der Jorge mit der Pistole auf das Haus zugetrieben hatte. Zuletzt fiel ihr Blick auf Fabio. Ihr Mund klaffte auf, und sie stöhnte unwillkürlich. Er saß hinter einem Schreibtisch, vor sich einen Schreibblock, einen Stift in der Hand. Sein sonst olivbraunes Gesicht war weiß, seine Augen waren nicht länger golden, sondern schwarz wie Obsidian und völlig ohne Ausdruck.
Johanna blickte einen Lidschlag lang in diese seelenlosen schwarzen Augen, dann wandte sie sich um und floh.
Sie kam nur drei Schritte weit, dann spritzte ihr ohne jede Vorwarnung der Mageninhalt aus dem Mund. Sie fiel auf Hände und Knie, würgend den Kopf nach vorn geschoben, als eine weitere Fontäne von Erbrochenem aus ihrem Mund schoß.
Jemand war hinter ihr, hielt ihren Kopf. An den Turnschuhen sah sie, daß es Fabio war. Er zog sie hoch, hob sie auf seine Arme und ging mit ihr die Kellertreppe hinauf. Ihre Augenlider flatterten, als sie versuchte, durch den Schleier der Benommenheit sein Gesicht zu sehen. Es gelang ihr erst auf der Treppe, die von der Halle in das Obergeschoß führte. Das Licht des Kronleuchters fiel auf seine Augen und ließ sie wie polierten Bernstein funkeln. »Nicht schwarz«, flüsterte sie erstickt.
Der grimmige Strich, zu dem seine Lippen sich zusammengepreßt hatten, lockerte sich. »Was meinst du?«
Sie antwortete nicht, sondern starrte ihn nur an. Die Linien seines kantigen Kinns. Die Bögen seiner rußschwarzen Wimpern, die noch einen Ton dunklere Locke, die ihm in die Stirn fiel.
»Weißt du es jetzt?« fragte er, sie unentwegt ansehend. Er faßte sie fester unter den Kniekehlen und öffnete mit dem Ellbogen die Tür zu dem Zimmer, in dem sie gewartet hatte. »Antworte mir, Johanna.« Er legte sie auf das Bett und blieb neben ihr stehen, hoch aufgerichtet.
»Was?« flüsterte sie.
»Ob du damit umgehen kannst.«
Ihre Augen, weit aufgerissen, schlossen sich langsam. Sie wandte den Kopf zur Seite. Fabio ging stumm in das Badezimmer, holte ein angefeuchtetes Handtuch und setzte sich zu ihr auf die Bettkante. »Du hättest besser auf mich gehört.« Er wischte ihr behutsam Mund und Kinn ab.
»Sollst du es selbst erledigen?«
»Was erledigen?«
»Mich.«
»Du weißt nicht, was du sagst.«
»Ich habe alles gesehen.«
»Das spielt keine Rolle. Du gehörst zur Familie. Du bist meine Frau.«
Sie sah zu ihm hoch. »Hast du es getan?«
»Nein. Ernesto.«
Sie wußte, daß es juristisch gesehen kaum einen Unterschied machte, aber die Erleichterung durchflutete sie wie eine Welle warmen Wassers.
»Täusche dich nicht, principessa«, sagte Fabio bedrohlich leise. »Er wäre von meiner Hand gestorben. Aber dieses Privileg hat Ernesto gebührt. Ich bin ihr Bruder, doch er ist ihr Mann.«
Sie konnte nichts erwidern. Erneut stieg Brechreiz in ihr hoch. »Es ist das Gesetz«, sagte er. »Auge um Auge.« Er warf das Handtuch nachlässig beiseite. »Wo wir beim Thema sind. Interessiert es dich, wie es meiner Schwester geht? Ich habe vorhin mit ihr telefoniert. Sie hatte die Genugtuung, ihren Schänder winseln zu hören.«
Johanna bückte sich, griff nach dem
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