Bankgeheimnisse
Fenster. Auf keinen Fall.«
»Ich verstehe. Falls irgendwo ein Scharfschütze herumlungert, bin ich hier mitten im Zimmer sicherer.«
»Du hast keinen Grund, so sarkastisch zu sein.«
»Kann schon sein. Dafür habe ich Grund zu allen möglichen Fragen.«
»Ich habe jetzt keine Zeit, Johanna. Wir reden später.«
»Sag mir nur eins«, rief sie ihm nach, als er zur Tür ging.
Er blickte über die Schulter zurück, den Knauf schon in der Hand. »Später, Johanna.«
Sie stand vor dem Bett, die Hände zu Fäusten geballt. »Verdammt, Fabio!« schrie sie. »Ist er es, oder ist er es nicht?«
Fabio hob gereizt die Brauen. »Ist wer was?«
Sie atmete durch, um Beherrschung ringend. »Ernesto. Ist er der Mann, für den du... gearbeitet hast? Den du aus deinem Leben streichen wolltest? Der für den Tod deines Vaters verantwortlich war?«
»Ja.«
»Ist er... Gehört er zu...«
»Ja«, unterbrach er sie lapidar. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloß. Johanna fühlte, wie ihre Knie zu zittern begannen. Sie sank auf das Bett. Einige der vom Baldachin herabhängenden Seidenfransen streiften ihre Stirn, doch sie achtete nicht darauf. Betäubt starrte sie auf ihre Knie. Ihre Gedanken kreisten mit unbarmherziger Gleichförmigkeit immer um dasselbe Wort: Camorra. Ein Lachen drang an ihr Ohr, kurz, schrill, hysterisch. Erst nach Sekunden erkannte sie, daß sie selbst es war, die gelacht hatte. »Das hast du gut gemacht, Johanna«, sagte sie mit falscher Heiterkeit. »Du bist weit gekommen, das muß ich schon sagen. Erst knietief in die Scheiße. Dann hinein bis zum Hals. Und jetzt steckst du drin bis über beide Ohren. Toll. Es ist überhaupt keine Standortfrage. Von einer ehrenwerten Gesellschaft in die andere. Vom Regen in die Traufe. Den Teufel mit Beelzebub austreiben.« Sie kicherte unbeherrscht, dann stieß sie einen erstickten Schrei aus und schlug mit der Faust gegen die Fransen vor ihrem Gesicht. Ein feiner Staubschleier stob herab. Sie hustete, erhob sich und ging zum Fenster. Durch einen Spalt zwischen den Vorhängen sah sie die Fabelwesen, die grotesk verschlungen aus dem ovalen Brunnen emporwuchsen. Vermutlich waren es Wasserspeier, die nur bei schönerem Wetter in Betrieb gesetzt wurden. Die ihr zugewandten Gesichter der mythischen Figuren waren zu häßlichen Fratzen verzerrt, die teils Grauen, teils so etwas wie Belustigung widerspiegelten. Johanna schloß die Augen. Einen flüchtigen Moment lang spürte sie mit eigenartiger Intensität fremde Blicke auf sich, wie von weit her. Blicke, die sich kalt in ihr Inneres bohrten und sie aufspießten wie ein seltenes Insekt.
Vom Fenster aus konnte sie auch das jetzt geöffnete Gittertor sehen und den Mann, der gerade hindurchkam und das Grundstück betrat. Er war etwa fünfzig Meter entfernt, aber sie erkannte ihn so deutlich, als stünde er direkt vor ihr. Er trug dieselbe Jacke wie damals, als er sie von der Bank quer durch die Innenstadt bis hinunter zur U-Bahn gehetzt hatte. Selbst auf diese Entfernung glaubte sie, sein bösartiges, quecksilberhelles Auge zu erkennen. Er kam nicht allein. Hinter ihm gingen zwei Männer, schlicht und unauffällig gekleidet, ebenso wie diejenigen, die sie vorhin in der Halle gesehen hatte. Der eine von ihnen hielt eine Waffe mit langem Lauf in Jorges Seite gepreßt und stieß ihn vorwärts, an dem Brunnen vorbei, auf das Haus zu. Dann gerieten die Männer außer Sicht. Johanna taumelte einen Schritt zur Seite und hielt sich an den Vorhängen fest. Sie sog keuchend die Luft ein und merkte erst jetzt, daß sie fast eine Minute lang nicht geatmet hatte. Ihr war übel. Sie wollte die Vorhänge beiseiteziehen, das Fenster aufreißen und ihre Lungen mit Luft füllen, aber sie erinnerte sich an Fabios Warnung. Plötzlich erschien ihr die Möglichkeit eines Heckenschützen alles andere als lächerlich. Sie zuckte von dem Fenster zurück, als könnte jeden Moment eine Bombe hindurchfliegen. Rückwärts gehend, stieß sie mit den Kniekehlen gegen das Bett und verlor das Gleichgewicht. Sie ließ sich fallen, mit ausgebreiteten Armen, und starrte nach oben, auf den blauschimmernden Betthimmel. Sie haben ihn. Sie haben ihn. Die Worte hämmerten mit stumpfer Monotonie in ihrem Kopf und verdrängten alle anderen Überlegungen. Ihr Herz klopfte rasend gegen ihre Rippen, schneller als vorhin unten in der Halle, wo Ernesto sie in seine Arme gezogen hatte und die Männer sie mit ihrem offen zur Schau getragenen Machismo brüskiert hatten.
Die
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