Bankgeheimnisse
sagte sich, daß ein radikaler Schnitt das Beste wäre, daß alles andere ihre Lage nur verschlimmern würde. Weil er es sich irgendwann ja doch wieder anders überlegen würde. Sie dachte an das weiße Zucken in ihrem Bauch. Er wußte nichts davon. Noch nicht. Sie fragte sich, was er dazu sagen würde. Sie fragte sich auch, was sie tun würde, wenn er eines Tages mit seinem Koffer vor der Tür stand und wieder einziehen wollte.
Am Ergebnis ihrer Überlegungen gab es nichts zu deuteln. Ihre derzeitige Lage war schlimmer als alles, was sie vorher mit ihm erlebt hatte. Ihre Aussichten waren niederschmetternd.
Mit einem Wutschrei schleuderte sie ihr Wasserglas in den leeren Kamin, wo es in einer glitzernden Scherbenfontäne zerbarst.
Um elf Uhr verließ sie die Wohnung und stieg die Treppen hinab ins Erdgeschoß. Sie betrat das Restaurant durch eine Seitentür, von der Eingangshalle aus, in der sich auch die Aufzüge zu den Wohnetagen befanden. Die meisten Gäste waren schon gegangen. Carlo, der sizilianische Barkeeper, mixte hervorragende Cocktails, aber das typische Publikum des Forchetta war jung und genußsüchtig und beschloß den Abend lieber in irgendeiner Nachtbar oder Disco. Zwei der Tische waren noch besetzt. Sie hielt Ausschau nach Fabio. Er saß mit dem Rücken zu ihr an einem der Tische und unterhielt die Leute mit Anekdoten aus Neapel. Sie blieb einen Augenblick in der Tür stehen, hörte seiner Stimme zu, sog die Atmosphäre des Raumes ein, dieses unnachahmliche italienische Gemisch aus bäuerlichem Ambiente und weltstädtischem Glamour. Es roch nach Gewürzen, Rotwein und sündhaft teuren Parfüms.
Sie ging zur Bar, setzte sich auf einen der hohen Stühle und bestellte bei Carlo eine White Lady. Während sie trank, betrachtete sie Fabios breiten Rücken. Er gestikulierte mit gespreizten Fingern, er untermalte und akzentuierte seine Worte. Es gehörte im Forchetta gewissermaßen zum Service, daß der Küchenchef bei einem letzten Drink die Leute unterhielt. Sie liebten nicht nur sein Essen, sondern auch ihn, seinen Machismo, sein hübsches Gesicht, all seine wahren und erfundenen Geschichten, die nur so strotzten von Mafiosi, armen Fischern und barfüßigen Kindern am Fuße des Vesuv. Johanna konnte seine Stimme hören, verstand aber nicht, was er sagte. Die Leute an dem anderen Tisch redeten zu laut. Sie leerte ihr Glas und bestellte erneut. Der Cocktail war eine vollendete Komposition aus Gin, Triple Sec und Zitrone. Carlo hatte als Barkeeper einen Namen in der Stadt. Sie spürte den Geschmack auf der Zunge, wie die Flüssigkeiten in ihrem Magen perlten, in ihre Glieder strömten, ihre Fingerspitzen zum Kribbeln brachten und ihren Verstand umnebelten. Sie überlegte, ob der Alkohol in ihrem Zustand schädlich war. Bestimmt nicht so schädlich wie eine Reise nach Amsterdam. Ein Kichern unterdrückend, bestellte sie einen dritten Drink. Carlos olivbraunes Gesicht legte sich in sorgenvolle Falten, als er ihr das Glas hinschob. Sie prostete ihm zu und forderte ihn auf, ihr von seiner Heimatstadt Palermo zu erzählen. »Ich liebe diese Geschichten«, sagte sie mit leicht undeutlicher Stimme. »Die Ich-ging-nach-Deutschland-und-machte-mein-Glück-Story. Du hast doch bestimmt auch so eine Geschichte auf Lager, was?«
Carlo hob höflich, aber nichtssagend die Schultern und polierte einen der schweren Shaker. Als sie den nächsten Drink bestellte, ging er zu Fabio, sagte ihm etwas ins Ohr und deutete auf Johanna, die herausfordernd zu ihnen herüberstarrte. Fabio entschuldigte sich bei seinen Gästen, stand auf und kam zu ihr an die Bar.
»Komm mit.« Er faßte sie am Arm, zog sie von dem Barhocker herunter und schob sie vor sich her zur Türe. Johanna sah, daß die Leute an den Tischen ihnen nachblickten.
»He, du Grobian«, protestierte sie flüsternd. »Was soll das? Ich bin ein zahlender Gast wie alle anderen hier drin, du kannst mich nicht einfach rausschmeißen. Ich habe Durst. Hör mal, dein Personal ist beschissen, weißt du das? Carlo läßt nach, er hat meine letzte Bestellung einfach ignoriert.«
Seine Miene wirkte grimmig. »Du betrinkst dich. Warum? Du weißt genau, daß du nicht mehr als ein Glas verträgst. Wenn du vorher wenigstens gegessen hättest. Sieh dich doch an. Ein Windstoß würde dich umwerfen.«
Er blieb vor einem der beiden Aufzüge stehen und drückte den Rufknopf.
Sie legte den Kopf in den Nacken und betrachtete sein unnachgiebiges Gesicht. »Was hast du vor? Du kannst
Weitere Kostenlose Bücher