Bankgeheimnisse
ging zu einem anderen Gynäkologen als sonst. Sie würde nur dieses eine Mal hingehen und dann nie mehr. Alles, was sonst noch zu tun war, würde ein anderer Arzt erledigen, in Amsterdam. Sie hatte bereits eine Adresse.
Sie ging heute nur zu diesem Arzt, um sich Gewißheit zu verschaffen, um auszuschließen, daß es eine Zyklusstörung war.
Das Wartezimmer war voll. Die Wände waren mit Postern tapeziert, auf denen rosige Babys lachten und mit Weichzeichner fotografierte Mütter verträumt ihre gewölbten Bäuche betrachteten. Unter den Postern saßen die echten Mütter, gelangweilt die Hände über den Umstandskleidern verschränkt. Aus Lautsprechern tönte Radiomusik. Johanna blätterte in Illustrierten, bis sie an der Reihe war.
Auf den Versuch des Arztes, eine Anamnese zu erstellen, reagierte sie einsilbig. »Ich bin nur auf der Durchreise. Zu Besuch bei meiner Tante. Ich wohne in München.« Sie erfand einen Phantasienamen eines Phantasiearztes, bei dem sie sonst in Behandlung sei. Sie werde bar zahlen, es ginge ihr nur um die Bestätigung, ob sie wirklich schwanger war.
Sein Blick sagte ihr, daß er Bescheid wußte, aber er insistierte nicht weiter. Er rief eine der Sprechstundenhilfen.
Johanna ging in die Kabine, um sich zu entkleiden. Auf dem Untersuchungsstuhl verkrampfte sie sich, ihre weit gespreizten Beine zitterten, als der Arzt das Spekulum einführte und ihre Scheide dehnte. Er bat sie, sich zu entspannen. Weiter sagte er nichts. Bei der anschließenden manuellen Tastuntersuchung schloß sie die Augen. Er redete immer noch nicht, auch nicht, als er wenig später die fingerförmige Ultraschallsonde in sie einführte. Auf dem Bildschirm war weißer, grobkörniger Schnee auf dunklem Grund. Sie sah ein rasches, schwaches Zucken. Ein Pulsieren, regelmäßig und stetig. »Das Herz«, sagte er wortkarg.
Sie schluckte, starrte auf den Bildschirm. Ihr war schlecht, ihre Hände klammerten sich um die Lehnen des Stuhls. Die Beinstützen schnitten in ihre Waden, als sie sich anspannte.
Er räusperte sich. »Es schlägt doppelt so schnell wie unseres. Hundertzwanzig- bis hundertvierzigmal in der Minute. Es pumpt das Blut durch den kleinen Körper. Immer weiter, bis zur Geburt und dann ein ganzes Leben lang. Es schlägt noch, wenn Sie und ich schon abgetreten sind. Wenn wir schon lange in unseren Särgen liegen und Staub sind.«
Er verstellte etwas an dem Gerät. Kreuzchen begrenzten das weiße Zucken, er drückte einen Knopf. Auf einer Meßtabelle am Rand des Bildschirms leuchteten Zahlen auf. »Knapp zwei Zentimeter Scheitel-Steiß-Länge. Die siebente Woche.«
Als er ihren fragenden Ausdruck sah, erklärte er: »Man rechnet vom ersten Tag der letzten Periode an. Es wird in Wochen eingeteilt, wissen Sie. Die Schwangerschaft dauert danach ziemlich genau vierzig Wochen.« Er drückte einen anderen Knopf. Es surrte. »Ein Foto.« Er zog das Sofortbild heraus und legte es zur Seite. »Sie können sich anziehen.«
Sie sah der Sprechstundenhilfe nach, die den Raum verließ. In der Kabine schmeckte sie Galle auf der Zunge. Ihr Gesicht war grau, als sie sich wieder dem Arzt gegenüber an dessen Schreibtisch niederließ.
Er spielte mit dem Foto und mied ihren Blick. »Der organische Befund ist soweit in Ordnung. Alles völlig normal. Der übliche Lauf der Dinge wäre so, daß Sie in... sagen wir, zwei Wochen zur ersten von mindestens zehn Vorsorgeuntersuchungen kämen. Sie erhalten einen Mütterpaß, in den alles eingetragen wird. Ihnen wird Blut abgenommen. Regelmäßige Gewichts-, Urin- und Blutdruckkontrolle.«
»War das jetzt alles?«
Er nickte. Als sie aufstand und ihm die Hand gab, drückte er ihr das Foto hinein. Er hielt ihre Hand fest. »Sie können mit mir darüber reden.«
Sie senkte den Kopf, eine hellblonde Haarsträhne fiel nach vorn. »Ist schon in Ordnung. Ich gehe dann in München zu meinem Arzt. Ich danke Ihnen.«
Sie schob das Foto in ihre Jackentasche, ging zur Aufnahme und bezahlte die Untersuchung.
Auf der Straße zog sie das Bild hervor und sah es an. Sie dachte an das weiße Zucken. Es schlägt und schlägt, immer weiter, ein Leben lang, hatte der Arzt gesagt. Ein kleiner Leo in ihrem Bauch, dessen Länge vom Scheitel bis zum Steiß gemessen wurde. Er würde wachsen, sich bewegen und strampeln. Schon im Mutterleib würden seine Haare blond und seine Augen so blau wie Saphire sein. Neben dem rechten Mundwinkel würde er ein Grübchen haben. Er würde in ihrem Bauch herumschwimmen,
Weitere Kostenlose Bücher