Bannkrieger
zeigen, dass sie nichts zu verbergen hatte. Allzu viele Kräuter lagen noch nicht darin, nur etwas Bärenklee und ein Bündel Schattennesseln sowie leuchtend rote Nebelbeeren, deren Genuss die Sinne berauschte. Auf eine lange Nadel gespießt, zappelten inmitten der Schnittpflanzen auch noch ein paar stachelige Wolfsraupen, denen – getrocknet und zerstoßen – allerlei stärkende Wirkung nachgesagt wurde, vor allem für die Manneskraft.
Hatra war eine äußerst kundige Heilerin, deren Ruf weit über den Schimmerwald hinausreichte. Manchmal nahmen Kranke lange und beschwerliche Reisen auf sich, um sich von ihr helfen zu lassen. Meistens lebte sie jedoch allein in ihrer Hütte, mit einigen Kröten und Raben als einzige Gesellschaft.
Im Dorf glaubten einige Leute, sie wäre eine mächtige Zauberin, doch das hielt Rorn für dummes Geschwätz. Da sie aber auch ihm schon über die Jahre hinweg mit Tränken und Umschlägen gegen Bauchgrimmen, Fieber und Schüttelfrost geholfen hatte, schätzte er dennoch ihre Fähigkeiten.
Hatra verzog ihre blutleeren Lippen zu einem noch breiteren Grinsen, als hätte sie seine Gedanken gelesen. Dabei entblößte sie ein überraschend intaktes Gebiss.
»Brauchst dir keine Gedanken zu machen, junger Schmied«, versicherte sie versöhnlich. »Ein stattlicher Kerl wie du findet schon eine gute Frau, die zu ihm passt.«
Obwohl er der Meinung war, dass sich die Alte in Sachen einmischte, die sie nichts angingen, erfreuten ihn diese Worte. Rorn war schon drauf und dran, Hatra um einen Blick in die Zukunft zu bitten – so viel Zauberkraft traute er ihr schon zu –, als die Augen der Greisin übergangslos glasig wurden. Sie sah zwar weiterhin in seine Richtung, doch sie starrte plötzlich durch ihn hindurch, als würde sie in weite Ferne blicken. Die Furchen in ihrem Gesicht wirkten auf einmal tiefer als zuvor. Was auch immer sie gerade sah, schien sie zu entsetzen.
Abrupt richtete sie sich aus ihrer gebeugten Haltung auf. Das schulterlange graue Haar fächerte in einem Windstoß auf, der Rorn nicht erreichte.
» Unheil «, murmelte Hatra wie zu sich selbst. »Die Natur duckt sich unter den nahenden Mächten.«
Das Gebaren der Alten erschreckte den Schmied, trotzdem rührte er sich keinen Schritt von der Stelle. Er glaubte zu wissen, was vor sich ging, denn er hatte seine Mutter und andere Frauen des Dorfes schon häufig vom zweiten Gesicht tuscheln hören.
»Was bedeutet das?«, wollte er wissen. »Will Neele meine Federn etwa nicht haben?«
»Still!« Die dürre, völlig ausgezehrt wirkende Hand der Hexe flog ihm entgegen, und ihre harsche Geste traf Rorn wie ein körperlicher Schlag. Fiebrige Wellen des Unwohlseins waberten durch seinen Körper. Er wollte aufbegehren, aber seine Muskeln verkrampften, er wollte schreien, doch seine Stimme versagte ihm den Dienst.
Fünf oder sechs Herzschläge lang stand er so da, bis das Leben in Hatras Augen zurückkehrte und ein Ausdruck des Bedauerns ihr eben noch leeres Gesicht eroberte. Im gleichen Moment, da sie den ausgestreckten Arm senkte, fiel jede Lähmung von Rorn ab.
»Lauf heim!«, verlangte die Hexe, noch ehe er eine Frage stellen konnte. »Bleib mit den anderen im Haus, bis die Fremden vorübergezogen sind!«
»Was meinst du damit?«, fragte der junge Schmied verwirrt.
Statt zu antworten, deutete Hatra auf die Lichtung hinaus. »Sieh selbst!«, forderte sie. »Sieh die Zeichen, die von großen Mächten künden.«
Neugierig folgte er der Richtung, in die ihr Zeigefinger wies, entdeckte aber nichts außer einer Käferwolke, die sich gerade aus den Gräsern der Lichtung erhob. Erst bei genauerem Hinsehen erkannte er, dass immer mehr Insekten in den Himmel stoben oder in die umliegenden Wälder schwärmten. Und auch sonst schien alles Ungeziefer in Aufruhr zu sein. Auf den weit ausladenden Ästen der Ulme, die ihm am nächsten stand, krabbelten Käfer, Raupen und Ameisen einträchtig nebeneinanderher, wie auf einer gemeinsamen Flucht.
Der Baumfasan widmete sich hingegen weiterhin dem ausgestreuten Futter, dabei sagte man gerade diesen Tieren einen ausgeprägten Instinkt für Gefahren nach.
»Was hat das alles zu bedeuten?«, wunderte sich Rorn, doch er sprach bereits ins Leere.
Der Platz neben ihm, an dem die Hexe gerade noch gestanden hatte, war längst verwaist. Hatra war verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt. Vollkommen lautlos. Schlangengleich.
Verwirrt drehte er sich im Kreis herum und suchte das ihn umgebende
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