Bannstreiter
endlich!«, verlangte er. »Alle vier! Ich will in Ruhe eine Mahlzeit einnehmen, sonst gehe ich heute Nacht nirgendwohin. Dann bekommt keiner von euch, was er gerne hätte.«
2. Angriff der Nebelwandler
Rorn aß ohne Genuss, sondern nur, um sich den Bauch zu füllen. Alme suchte unterdessen das Gespräch mit der Hexe, die auf ihren alten Platz zurückgekehrt war. Die Art und Weise, wie sich Venea erfolgreich zur Wehr gesetzt hatte, imponierte der jungen Schankmaid. Nur zu gerne hätte sie die gleichen Fähigkeiten besessen.
Bao beobachtete die beiden ins Gespräch vertieften Frauen mit wachsendem Unmut. Jedes Mal, wenn sie ihre Stimmen zu einem verschwörerischen Tuscheln herabsenkten oder in leises Kichern ausbrachen, nahm er einen tiefen Schluck aus seinem Humpen. Die anderen beiden Hirten, die er mit Veit und Gosk ansprach, tranken dagegen in Maßen. Offensichtlich waren sie nicht nur stiller, sondern auch wesentlich klüger als ihr zum Jähzorn neigender Gefährte.
Rorn hatte gerade seinen ärgsten Hunger und den Durst gestillt, als Grimmschnitter sanft erzitterte. Nur wenige Herzschläge später begannen draußen die Gänse zu lärmen. Gleichzeitig kam starker Wind auf, der an den Fensterläden rüttelte. Obwohl kein spürbarer Luftzug ins Haus eindrang, fingen die überall im Raum verteilten Kerzen an zu flackern.
Die Menschen in der Gaststube erschraken, und das zu Recht, denn der abrupte Wetterumschwung war unnatürlichen Ursprungs. Plötzlich heulten scharfe Böen ums Haus. Die Dachschindeln klapperten, und das Gebälk knackte so laut, dass selbst das Vieh in den Stallungen in Panik geriet. In das Blöken der Schafe mischte sich Pferdewiehern. Ausschlagende Hinterläufe prallten hart gegen Bretterverschläge.
Auch viele Gäste im Schankraum hätten gerne mit der Faust auf den Tisch geschlagen, um ihre Anspannung abzuschütteln. Nur die dünne Schicht der Zivilisation, die sie vom Tiere trennte, verhinderte, dass sie die Beherrschung verloren. Doch Erziehung und Vernunft waren schnell vergessen, wenn tief verwurzelte Urängste an die Oberfläche kamen.
Dass eine unsichtbare Welt hinter der eigenen existierte, flößte jedem vernunftbegabten Wesen Furcht ein. Es war die Sphäre des Schöpfers und Allesverschlingers, die stets nach Ausgleich strebte und keine Rücksicht auf Einzelschicksale nahm.
War der Menschheit auf dem Weg zum aufrechten Gang auch so mancher Instinkt verloren gegangen – um das zu spüren, was sich draußen zusammenbraute, waren weder Grimmschnitter noch eine magische Gabe vonnöten. Das Wissen darum, dass sich im Schatten des Passes gerade unsagbares Grauen manifestierte, zerrte stärker an den Nerven als eine scharfe Klinge, die gegen die Kehle drückte.
Die Lippen fest aufeinandergepresst richteten die Menschen ihre Blicke Hilfe suchend auf Rorn.
Selbst Venea sah nun ernster drein.
Ohne ein Wort zu verlieren, legte der Bannstreiter seinen Mantel an und passierte die Tischreihen, die ihn vom Ausgang trennten. Auf seinem Weg nach draußen würdigte er weder Bao noch Venea eines Blickes. Niemand von ihnen sollte sich aufgefordert fühlen, ihm zu folgen. Taten sie es dennoch, sahen alle im Raum, dass sie aus freien Stücken handelten.
Rorn langte gerade nach dem Türriegel, als Bao, Gosk und Veit zu ihm aufschlossen. Keiner der drei war wohlhabend genug, ein Schwert zu besitzen, stattdessen hielten sie Hirtenstäbe sowie Knüppel in ihren Händen und trugen lange Messer im Gürtel. Entschlossenheit funkelte in ihren Augen.
»Wie ihr wollt«, brummte Rorn achselzuckend.
Ein saugendes Geräusch erklang, als er sich gegen das Türblatt stemmte. Er musste tatsächlich ein gehöriges Maß an Kraft aufwenden, um ins Freie zu gelangen. Zunächst leistete der ums Haus pfeifende Wind vehementen Widerstand, drehte dann aber und versuchte anschließend, ihm die Tür zu entreißen.
Ein harter Ruck jagte durch Rorns Handgelenk. Vor Schmerz leise aufstöhnend, verhinderte er gerade noch, dass die Tür mit voller Wucht gegen die Hauswand schmetterte. Gemeinsam mit Gosk und Veit drückte er sie gegen die wütenden Elemente ins Schloss zurück.
Kalter Wind schnitt ihnen ins Gesicht. Rorns weißblondes Haar flatterte wild umher, als wollte es ihm die Haut vom Kopf reißen. Die Kapuze brachte schließlich ein wenig Linderung, trotzdem kam es ihm vor, als würden seine Wangen mit Eisnadeln gespickt.
Verdrossen kämpfte er gegen den Sturm an, der an seinem Mantel zerrte. Die drei Hirten
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