Lyras Leidenschaft
Prolog
Ihr wurdet künstlich erschaffen. Euer Leben gehört dem Genetics Council, und er kann es einfordern, wann immer er es für richtig hält. Ihr seid Tiere. Nichts als Tiere. Ihr habt keinen Vater. Ihr habt keine Mutter. Ihr habt nur uns. Und wir werden entscheiden, ob ihr stark genug seid, um zu leben, oder ob ihr sterben müsst.
Der Traum war grausam. Die Erinnerung daran, wer er oder besser was er war, hatte sich tief in Tareks Inneres eingebrannt. Vor seinem geistigen Auge sah er, wie der Forscher den Prozess erklärte, bei dem er entstanden war: die genetische Veränderung eines Samens und einer Eizelle unbekannter Herkunft. Die Befruchtung, die Entwicklung noch vor dem Einpflanzen in eine menschliche Gebärmutter. Und schließlich der Tod aller Leihmütter, die den Embryo eines Katzen-Breeds ausgetragen hatten.
Die heranwachsenden Geschöpfe blieben von nichts verschont. Sie saßen auf dem Boden ihrer Zellen und sahen das schockierende Video jeden Tag. Und jede Nacht in ihren Träumen.
Du bist kein Mensch. Auch wenn du so aussiehst. Du bist ein Tier. Ein künstliches Geschöpf. Eine Kampfmaschine. Eine Kampfmaschine, die wir steuern. Glaub nicht, dass du je etwas anderes sein wirst …
Tarek warf sich hin und her, in seinem Albtraum zogen Jahre voll Blut und Tod an ihm vorbei. Die Peitschenhiebe, die in seinen Rücken und seine Brust schnitten. Stundenlange Folter, weil er nicht skrupellos genug getötet oder weil er Gnade gezeigt hatte. Der Schmerz zu wissen, dass der Traum von Freiheit vielleicht nichts als ein Hirngespinst war, das der Tod blitzschnell zunichtemachen konnte.
Schlagartig war er wach, das Blut pochte in seinen Adern, und seine Haut war schweißnass, als der Horror ihn wieder einholte, dem er so lange zu entkommen versucht hatte.
Er stand schwer atmend auf, zog sich eine Boxershorts an und verließ das Schlafzimmer. Dabei atmete er tief ein, und sein Gehirn verarbeitete und analysierte automatisch die Gerüche des Hauses, um nach Auffälligkeiten zu suchen. Es gab keine. Sein Revier war unverletzt und jetzt ebenso sicher wie zu jenem Zeitpunkt, als er zu Bett gegangen war.
Er strich mit einer Hand über seine schmerzende Brust, das beinahe allgegenwärtige Andenken an jene letzte Geißelung und die elektrische Peitsche, die höllische Schmerzen durch seinen Körper gejagt hatte.
Er war künstlich erschaffen worden, nicht natürlich gezeugt.
Die Worte hallten in seinem Kopf wider, während er die Hintertür öffnete und auf die Veranda trat.
Erschaffen, um zu töten. Kein Mensch …
Er starrte in die trostlose Leere dieser spätherbstlichen Nacht in Arkansas, während er sich von seinen Erinnerungen fortreißen ließ. Dagegen anzukämpfen machte die Albträume nur noch schlimmer.
Du wirst niemals Liebe erfahren. Tiere lieben nicht, also glaub bloß nicht, du hättest ein Recht darauf. Vergiss es!
Die Trainer hatten schnell jedes Fünkchen Hoffnung erstickt, bevor es wachsen, Form annehmen und auf ein Ende der Folterqualen hindeuten konnte. Das psychologische Training war brutal gewesen.
Du bist nichts. Du bist eine vierbeinige Bestie, die auf zwei Beinen geht. Vergiss das niemals! Deine Fähigkeit zu sprechen gibt dir nicht die Erlaubnis, es auch zu tun …
Er starrte in die sternenklare Nacht.
Für euch gibt es keinen Gott. Gott erschafft seine Kinder. Er kümmert sich nicht um Tiere …
Die endgültige Zerstörung. Er verzog die Lippen zu einem lautlosen Zähnefletschen, während er in einen funkelnden Himmel blickte, den er niemals hätte sehen sollen.
»Wer kümmert sich denn dann um uns?«, knurrte er den Gott an, der, wie Tarek gelernt hatte, keine Zeit für ihn und seinesgleichen hatte. »Wer dann?«
1
Gab es denn kein Gesetz, das es einem Mann verbot, so verdammt gut auszusehen? Vor allem, wenn er einen muskulösen und verdammt sexy Körper hatte, den er dazu benutzte, einen ordentlichen Rasen zur falschen Jahreszeit beständig weiter zu verstümmeln.
Lyra Mason war der Meinung, dass ein solches Gesetz dringend notwendig war. Besonders als besagter Mann, Tarek Jordan, die Todsünde beging, ihre geliebten irischen Rosen niederzumähen.
»Bist du wahnsinnig?« Laut schreiend rannte sie zur Haustür hinaus, um ihn von ihrer schönen Hecke zu verscheuchen, die endlich eine anständige Höhe erreicht hatte. Zumindest, bevor er mit der Motorsense auf sie losgegangen war. Er fuchtelte damit herum wie mit einem Schwert.
»Hör sofort auf! Das sind
meine
Rosen!«,
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