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Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Titel: Barbarendämmerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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und es wurde dunkel, und es war noch immer dieselbe Nacht.
    Er mochte geschlafen haben.
    Eine alte Stimme raunte in sein Ohr: »Du erkennst den Tod nicht an, mein hübscher Junge. Nur deshalb bist du noch am Leben.«
    Dann war er allein und lachte und weinte. Niemand sah ihn, das war wichtig.
    Am Morgen tropfte die Sonne wie Tau von sämtlichen Blättern. Vögel sangen, beäugten ihn, hofften auf etwas zu fressen.
    Ihn dürstete.
    Er legte den Unterarm über die Augen, um den Sonnentau abzumildern. Zu seiner Überraschung war es der linke Unterarm. Er konnte ihn wieder bewegen. Noch tat es weh, aber es war sehr viel besser als gestern.
    Er rollte auf seinem Rücken hin und her und spürte dem Fremdkörper nach. Der Fremdkörper war weg. Womöglich zu Blut zerschmolzen.
    Er war nackt. Sein Lendenschurz fort, die Würste und der Schinken ebenfalls.
    Durst trieb ihn hoch.
    Er fand Regenwasser in einem vom Blitz erschlagenen Baumstamm. Er schöpfte mit der Hand und trank, dann schleckte er das Wasser mit der Zunge wie ein Tier. Es schmeckte harzig, bereitete ihm Behagen.
    Er blickte sich um. Moos wuchs auch an den Bäumen. Er konnte die Himmelsrichtung bestimmen daran, aber er hatte vergessen, woher er gekommen war oder wohin er hatte gehen wollen. Nur weg von hier, wahrscheinlich. Immer weiter. Das kam ihm vertraut vor.
    Er setzte sich in Bewegung, versuchte wieder das Rennen, wechselte von Lichtern zu Schatten und weiter zum Licht. Es wurde hell und wurde dunkel, wurde hell und wieder dunkel, und der Tag blieb er selbst.
    Dann fand er das Reh. Es war noch jung, hatte weiße Flecken.
    Es zitterte vor ihm, die Flanken zuckten, es schaute ihn an mit feuchten Augen, geblähten, feuchten Nüstern.
    Er ging auf es zu und berührte es an der Stirn und unterm Maul.
    Bilder stürmten durch seinen Kopf, Bilder von Wut und Zerreißen.
    Er kämpfte dagegen an, wollte weitergehen, einfach nur weitergehen, es dabei bewenden lassen, rennen und leben, aber er unterlag, wie meistens.
    Das Blut war am mächtigsten, und er hatte viel zu viel davon verloren.

BeDRäNGeN
     
    Sie kam zum Fluss, um sich zu waschen.
    Zwischen ihren Beinen trug sie noch Spuren ihres Liebhabers, ihres guten Jungen, wie sie ihn nannte. Ihr Gang war federnd und beschwingt, ihre Haare an den Schläfen und im Nacken noch feucht, das Gesicht erhitzt und voller Lächeln. Es war sehr schön gewesen mit ihrem guten Jungen, wie immer, wenn er sich morgens vor der Arbeit fortstahl und sich eine Stunde oder eine halbe für sie Zeit nahm. Aber nun musste sie sich lossagen von seinen Spuren und den Gedanken an ihn, den Erinnerungen ihres Körpers an seine Berührungen, denn auch sie musste ins Dorf, um auf dem Markt ihre Waren feilzubieten. Die Leute sollten nicht merken, dass sie einen Liebhaber hatte. Solange sich die Männer des Dorfes allesamt bei ihr Chancen ausrechneten, kauften sie mehr bei ihr ein.
    Zärtlich befühlte sie die Ohrringe, die ihr guter Junge ihr geschenkt hatte. Im Dorf würde sie die nicht tragen können, das würde zu viel über sie beide verraten. Aber hier draußen hinter den Feldern unter den Bäumen des Flusses genoss sie den Schmuck, das golden wirkende Metall, das sich in der Morgensonne erwärmte wie die Finger ihres guten Jungen. Sie schmückte sich gern für den Fluss. Der Fluss durfte wissen, dass sie glücklich war und vergeben.
    Auf dem Wasser tanzte glitzernd das Licht. Libellen und Mücken schwirrten umher. Eine Kröte saß auf einem Stein und blinzelte in eine andere Richtung. Als das Mädchen sich dem Fluss näherte, hüpfte die Kröte dennoch vorsichtig ins Wasser.
    Das Mädchen ging hinein, bis zu den Schenkeln, das einfache Kleid angehoben, damit es nicht nass wurde. Wo vorher Stoff ihre Blößen bedeckte, glitzerte nun Wasserschimmer. Sanft zog der Fluss an ihren Beinen, umspülte sie träge mit Kühlung und Drang. Sie knickte ein wenig die Knie ein und wusch sich gründlich. Das Wasser war sehr kalt an ihren empfindsamsten Stellen, aber sauber und klar. Die Spuren ihres Liebsten trieben im Fluss davon. Winzige Fische flitzten vorüber. Der Schatten eines Reihers fiel über sie. Der graue Vogel flog weiter, verschwand hinter Bäumen.
    Ein schweres Rascheln ließ sie aufblicken.
    Aus dem Wald des jenseitigen Ufers trat ein Mann. Er war vollkommen nackt und blutverschmiert. Seine Hände bis hinauf zu den Ellenbogen, sein Bauch, seine Oberschenkel und Knie – es sah aus, als wäre er mit bräunlicher Farbe besprenkelt worden. Aber

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