Barbarendämmerung: Roman (German Edition)
es war keine Farbe. Es war trocknendes Blut. Das Mädchen hatte bei Schlachtungen ausgeholfen, und einmal auch bei einer Geburt. Sie war mit den Färbungen des Lebens vertraut.
Sie wollte sich wegducken, stand aber mitten im Fluss. Er musste sie sehen. Das allgegenwärtige Glitzern gab sie preis.
Er sah sie und machte keinerlei Anstalten, seine eigene Blöße zu bedecken. Seine Haut war dunkler als die der Dörfler oder der Städter. Seine Haare waren lang, verhüllten beinahe sein Gesicht. Er war hübsch, aber auf eine unangenehme, herablassende Weise. Sein Gesichtsausdruck sah aus, als würde er schmollen.
Er trat an seiner Uferseite bis an das Wasser. Hockte sich hin und wusch sich erst mal die Hände bis hinauf zu den Ellenbogen. Dann die Brust, die Achselhöhlen und den Bauch. Sie konnte sehen, dass ihre Anwesenheit Auswirkungen auf ihn hatte.
Ihr Atmen ging schneller. Rückwärts zog sie sich langsam aus dem Wasser zurück. Ihr Kleid, das sie vorher hochgehalten hatte, damit es nicht nass wurde, ließ sie nun sinken. Sie wollte nicht von ihm gesehen werden. Sie hatte bereits einen Liebhaber. Sie war glücklich und vergeben. Und ihr guter Junge war jetzt nicht mehr in der Nähe, sondern war auf seinem rötlichen Pferd ins Dorf geritten, um seinen eigenen Tag zu beginnen.
Das Blut, das der Fremde sich abwusch, färbte und verunreinigte den Fluss. Es war mehr, als das Mädchen für möglich gehalten hätte. Es sah aus, als würde von dem Mann Dunkelheit ins Wasser strömen. Es war nicht sein eigenes Blut, das wurde ihr erst jetzt klar. Er sah aus, als hätte er bei einer Schlachtung geholfen oder bei einer Geburt, aber er war nackt, und sie fragte sich, weswegen. Seine Handgelenke, die in das Glitzern tauchten. Die Handgelenke waren mit rötlichen Striemen verunziert, als wäre der Mann vor Kurzem noch gefesselt gewesen.
Er beachtete sie nicht weiter, während sie sich zurückzog. Er wusch sich, wie sie das vorher auch getan hatte. Sie konnte nicht anders, sie musste hinschauen.
Dann blickte er auf und sie an. Die meisten Männer hätten jetzt gelächelt oder etwas gesagt. Etwas Freundliches, etwas Anzügliches, etwas Dümmliches, etwas Freches oder etwas betont Harmloses. Er aber lächelte kein bisschen und blieb stumm. Er richtete sich auf. Und betrat das Wasser.
Sie hatte ihr Ufer erreicht. Als er bis zur Hüfte ins Glitzern schritt, hoffte sie, dass die Kälte des Flusses ihn abkühlen würde. Doch sie ahnte, dass dieser Wunsch sich nicht erfüllen würde. Dies war kein Mann von hier. Sein Körper war ganz anders beschaffen, seine Muskeln nicht nur Zurschaustellung, sondern vor allem ein Ausdruck von Behändigkeit und Wildheit. Er trug Narben auf seiner Brust wie Ehrenzeichen. Er war sehr groß, außergewöhnlich groß. Viel größer als ihr lieber Junge. Sie beschloss zu flüchten. Zu ihrem Haus, das sie wenigstens verschließen konnte. Wo sie sich einen Schürhaken greifen konnte oder ein Messer, um sich zu verteidigen.
Der Fremde ging durch den Fluss hindurch, als wäre das drängende Wasser nur ein Nebelhauch.
Er sah dem Mädchen jetzt nicht einmal mehr hinterher, als es zu rennen begann. Dass er ihr nicht folgte, dass er nicht ebenfalls zu rennen begann, erleichterte sie.
Sie durchbrach die Linie der Flussbäume und konnte ihr Blockhaus sehen. Schwankend, rüttelnd kam es näher. Mehrmals blickte sie sich um. Der fremde nackte Mann blieb hinter den Bäumen zurück. Vielleicht hatte er nur den Fluss überqueren wollen. Das konnte möglich sein. Er hatte sie mitten im Fluss stehen gesehen und daraus abgeleitet, dass das Wasser an dieser Stelle nicht besonders tief war. Also hatte er ihre Stelle zur Überquerung genutzt. Aber sie wollte sich nicht grundlos in Sicherheit wiegen. Dass sie alleine lebte hinter den Feldern, machten die Frauen des Dorfes ihr schon lange zum Vorwurf. Sie sollte sich zumindest einen großen Hund anschaffen, war ihr schon mehrfach geraten worden. Aber sie wollte keinen Hund im Haus. Sie genoss es, allein zu sein, wenn ihr lieber Junge nicht bei ihr war. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie ihn jemals heiraten wollte, denn sie war gerne allein. Schon als Kind hatte sie sich gern zurückgezogen, in die schummrige Behaglichkeit einer Hütte, wenn die anderen draußen spielten und lärmten. Sie gehörte nicht richtig ins Dorf. Sie wohnte lieber in der Nähe des Flusses.
Sie erreichte das Haus und warf hinter sich die Tür ins Schloss. Mit einem Balken verriegelte sie den
Weitere Kostenlose Bücher