Barbarendämmerung: Roman (German Edition)
Eingang. Desgleichen die drei Fenster. Balken von innen vor die Läden. Es wurde dunkel für sie, während ringsumher die Sonne schien. Ihr Atem ging noch immer schnell, und sie ärgerte sich über ihre vielleicht übertriebene Vorsicht, aber sie wollte sich nicht auf ihr Glück verlassen. Das war für ein allein lebendes Mädchen nicht gut.
In ihrem Raum roch es noch deutlich nach der grenzenlosen Verliebtheit, die sie mit ihrem guten Jungen genossen hatte. Ihr Liebster war überall anwesend, in jedem Deckenschmuck und jeder Möbelkante. Sie wollte sich an diesem im wahrsten Sinne des Wortes wundervollen Duft festhalten, aber gerade dadurch wurde ihr bewusst, wie flüchtig dieser war. Ihr guter Junge saß auf seinem rötlichen Pferd und ritt zum Dorf. Wahrscheinlich war er schon dort angekommen. Zweimal – erinnerte sie sich jetzt mit einem wilden Herzschlag der Hoffnung –, zweimal war er jedoch zurückgekehrt von seinem Weg dorthin und hatte ihr Blumen mitgebracht, die er unterwegs gepflückt hatte. Zweimal. Wie schön, dachte sie, wie schön wäre es, wenn heute das dritte Mal wäre.
Sie zog sich etwas Trockenes an. Für einen Moment war sie dabei nackt, ebenso nackt wie der Fremde, aber dieser Moment war nur kurz.
Sie wartete im Dunkeln, und überhaupt nichts geschah.
Sie schalt sich eine Närrin. Der Fremde hatte sie betrachtet, ja. Sie hatte ihm gefallen, das war nicht zu missdeuten gewesen, ja. Aber das war es auch schon. Vielleicht war er auf der Flucht. Oder auf der Jagd. Oder er wurde gejagt. Bestandteil eines fremden, vorzeitlichen Rituals. Es war ihm gar nicht möglich, sich mit ihr einzulassen.
Doch sie konnte sich nicht restlos überzeugen. Sein Blick war so dunkel gewesen, so düster. Sie kauerte in der selbst geschaffenen Finsternis, während um das hölzerne Haus herum der Tag verzwitscherte und der Wind in den Bäumen spielte. Die Schatten wanderten, und sie hielt ihren Schürhaken umklammert.
Zu essen hatte sie genug. Um ihre Notdurft zu verrichten, hätte sie eigentlich das Haus verlassen und in den kleinen, windschiefen Verschlag gehen müssen, aber das traute sie sich nicht. Sie hatte Töpfe, und sie hatte Deckel.
Ihr guter Junge kam nicht und brachte keine Blumen. Das dritte Mal würde ein andermal sein.
In ihrer Einsamkeit dachte sie, dass der Fremde ihn abgefangen und ermordet haben könnte, und sie würde es hier drinnen nie erfahren. Eigentlich musste sie hinaus, ins Dorf. Wenn sie einen Tag lang ihren Stand am Markt nicht besetzte, würde niemand sich um sie Sorgen machen. Sie hat halt ein Frauenleiden oder so was, würden die Leute tuscheln und grinsen dabei, anzüglich. Am zweiten Tag. Am zweiten Tag würde vielleicht einer ächzend sich aufmachen, um nach ihr zu schauen. Aber auch der, auch der konnte von dem Fremden abgefangen werden.
Aber dass die Vögel zwitscherten, war doch ein Zeichen dafür, dass der Fremde nicht ums Haus strich. Oder etwa nicht? Vielleicht hatte er sich ja auch hingesetzt und wartete ganz ruhig. Und die Vögel akzeptierten ihn als jemanden, der dort saß, und sangen. Für ihn und für sie.
Sie ging zu dem Fenster in Richtung der Flussbäume und versuchte, durch die Fugen und Ritzen der Fensterläden etwas zu erkennen. Nichts. Würde sie sie öffnen, auch nur einen Spaltbreit, würde sie dem Unheil Einlass gewähren.
War der Fremde überhaupt bewaffnet gewesen? Sie hatte nichts gesehen außer Nacktheit. Auch hinter seinem Rücken konnte er ja kaum etwas verborgen gehalten haben. Seine Hände waren beide sichtbar gewesen, und keinerlei Gurte oder Lederschlaufen hatten auf etwas hingewiesen, was er auf dem Rücken trug. Also hatte er kein Werkzeug, keinen Hebel. Er konnte die Fensterläden nicht aufstemmen mit bloßen Händen. Andererseits war er sehr kräftig gewesen. Sehr, sehr kräftig.
Ihr schauderte. Was war bloß mit ihr los? Das war nicht das erste Mal in ihrem Leben, dass sie am Fluss einem Fremden begegnete. Da war ein Flößer gewesen, aus einem anderen Dorf wahrscheinlich, der hatte ihr hinterhergepfiffen. Und einmal ein Wanderer, ein kleiner, dicklicher Kerl. Der hatte so getan, als hätte er sie nicht bemerkt. Und einmal ein Junge, der vielleicht von zu Hause ausgerissen war. Der hatte sie nach dem Weg gefragt, und sie hatte ihm erläutert, wo ihr Dorf lag, und auch, wie man es umgehen konnte. Doch niemals zuvor hatte sie solche Furcht verspürt. Es war das Blut, selbstverständlich. Die Schlachtung oder die Geburt. Und die Nacktheit.
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