Barcelona 01 - Der Schatten des Windes
Nähe und gaben mir unverhüllt zu verstehen, daß ich überflüssig war, daß meine Anwesenheit Clara und die Welt beschämte. Der schlimmste von allen jedoch war Musiklehrer Neri, dessen unselige Sinfonie noch immer unvollendet war. Er war ein geschniegelter Kerl, ein verwöhntes Söhnchen aus San Gervasio, der mich mit seiner triefenden Brillantine eher an Carlos Gardel als an einen Mozart erinnerte. Ohne Würde und Ehrgefühl scharwenzelte er um Don Gustavo herum und flirtete in der Küche mit der Bernarda, die er zum Kichern brachte, wenn er ihr seine lächerlichen Zuckermandeltütchen schenkte oder sie in den Hintern zwickte. Kurzum, ich haßte ihn auf den Tod. Die Antipathie war gegenseitig. Immer erschien er mit seinen Partituren und seiner arroganten Haltung, schaute mich an wie einen unerwünschten Schiffsjungen und erhob allerlei Bedenken gegen mein Hiersein.
»Mußt du nicht nach Hause, um deine Aufgaben zu machen, Kleiner?«
»Und Sie, Maestro, wollten Sie nicht eine Sinfonie vollenden?«
Schließlich hatten sie mich alle gemeinsam so weit gebracht, daß ich mit eingezogenem Schwanz abzog; hätte ich doch Don Gustavos Zungenfertigkeit gehabt, um diesen Großkotz in seine Schranken zu verweisen.
An meinem Geburtstag ging mein Vater in die Konditorei an der Ecke und kaufte die beste Torte, die er fand. Schweigend deckte er mit dem Silber und dem guten Geschirr den Tisch und bereitete ein Essen mit meinen vermeintlichen Lieblingsgerichten zu. Den ganzen Nachmittag wechselten wir kein Wort. Als es dunkel wurde, ging er in sein Zimmer, schlüpfte in seinen besten Anzug und kam mit einem in Cellophan eingeschlagenen Päckchen zurück, das er auf den Eßtisch legte. Mein Geschenk. Dann zündete er Kerzen an. Er setzte sich an den Tisch, goß sich ein Glas Weißwein ein und wartete. In der Einladung hatte es geheißen, das Essen finde um halb neun statt. Um halb zehn warteten wir noch immer. Mein Vater schaute mich traurig an, wortlos. Mir brannte das Herz vor Wut.
»Du bist gewiß zufrieden«, sagte ich. »Ist es das, was du gewollt hast?«
»Nein.«
Eine halbe Stunde später erschien die Bernarda mit einer Leichenbittermiene und einer Nachricht von Señorita Clara. Diese wünsche mir alles Gute, bedaure aber, nicht zu meinem Geburtstagsessen kommen zu können. Señor Barceló habe in Geschäften für ein paar Tage die Stadt verlassen müssen und Clara habe sich genötigt gesehen, ihre Unterrichtsstunde bei Maestro Neri zu verschieben. Sie selbst sei gekommen, weil es ihr freier Abend sei.
»Clara kann nicht kommen, weil sie eine Musikstunde hat?« preßte ich hervor.
Die Bernarda schaute zu Boden. Sie weinte beinahe, als sie mir ein kleines Paket mit ihrem Geburtstagsgeschenk reichte und mich auf beide Backen küßte.
»Wenn es Ihnen nicht gefällt, kann man es umtauschen.« Ich blieb mit meinem Vater allein und starrte auf das gute Geschirr, das Silber und die Kerzen, die still niederbrannten.
»Es tut mir leid, Daniel«, sagte mein Vater.
Ich nickte schweigend und zuckte die Schultern. »Willst du denn nicht dein Geschenk auspacken?« Als einzige Antwort schlug ich beim Gehen die Tür hinter mir zu. Wütend rannte ich die Treppen hinunter; als ich auf die trostlose, in blauem Licht kalt daliegende Straße hinausstürzte, spürte ich, daß meine Augen vor Zornestränen überliefen. Mein Herz war vergiftet, und mein Blick flackerte. Da sah ich den Fremden, der mich reglos von der Puerta del Ángel aus beobachtete. Er trug wieder seinen dunklen Anzug und hatte die rechte Hand tief in der Jackentasche vergraben. In der Glut einer Zigarette zeichneten seine Augen kleine Lichtpunkte. Mit leichtem Hinken begann er mir nachzugehen.
Rasch versuchte ich ihn abzuschütteln und irrte über eine Stunde durch die Straßen, bis ich zum Kolumbusdenkmal gelangte. Ich ging zum Hafen hinüber und setzte mich auf die Stufen, die sich an der Mole der Motorschiffe im dunklen Wasser verloren. Jemand hatte eine nächtliche Bootsfahrt gechartert, und übers Hafenbecken hinweg schwebten das Gelächter und die Musik der Prozession aus Lichtern und Spiegelungen herüber. Ich erinnerte mich an die Tage, wo mein Vater und ich mit dem Motorschiff zum Ende des Hafendamms hinübergefahren waren. Von dort aus konnte man den Abhang des Montjuïc mit dem Friedhof und die unendliche Stadt der Toten sehen. Manchmal winkte ich hinüber, weil ich glaubte, meine Mutter sehe uns vorbeifahren. Auch mein Vater winkte. Seit Jahren hatten wir
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