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Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Titel: Barcelona 01 - Der Schatten des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafon
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des Friedens und der Trauer, eine Welt, die sich allmählich verflüchtigt hatte seit dem Morgen, an dem mich mein Vater zum Friedhof der Vergessenen Bücher mitgenommen hatte. Eines Tages entdeckte er, daß ich Carax’ Buch Clara geschenkt hatte, und geriet in Harnisch.
»Du hast mich enttäuscht, Daniel. Als ich dich an diesen geheimen Ort mitnahm, habe ich dir gesagt, das Buch, das du auswählen würdest, sei etwas ganz Besonderes, du würdest es adoptieren und die Verantwortung dafür übernehmen müssen.«
»Damals war ich zehn, Papa, und das war eine Spielerei für Kinder.«
Mein Vater schaute mich an, als hätte ich ihm einen Dolchstoß versetzt.
»Und jetzt bist du vierzehn und nicht nur immer noch ein Kind, sondern ein Kind, das sich für einen Mann hält. Du wirst viele Scherereien im Leben bekommen, Daniel. Und zwar sehr bald.«
In jenen Tagen redete ich mir ein, meinen Vater schmerze es, daß ich soviel Zeit bei den Barcelós verbrachte. Der Buchhändler und seine Nichte lebten in einer Welt des Luxus, die er kaum erahnen konnte. Ich dachte, es störe ihn, daß sich Don Gustavos Dienstmädchen mir gegenüber wie eine Mutter verhielt, und er sei gekränkt, daß ich jemanden diese Rolle übernehmen ließ. Manchmal, wenn ich im Raum hinter dem Laden zugange war und Pakete schnürte, hörte ich einen Kunden mit meinem Vater scherzen.
»Sempere, Sie sollten sich ein gutes Mädchen suchen, jetzt wimmelt es von attraktiven Witwen in der Blüte ihrer Jahre, Sie verstehen schon. Ein gutes Mädchen bringt Ordnung ins Leben, mein Freund, und nimmt Ihnen zwanzig Jahre ab. Was zwei Brüste nicht alles fertigbringen …«
Mein Vater antwortete nie auf solche Andeutungen, aber mir erschienen sie immer vernünftiger. Bei einem unserer Abendessen, die zu Gefechten des Schweigens und der verstohlenen Blicke geworden waren, brachte ich das Thema zur Sprache. Ich dachte, wenn ich das tue, wäre es leichter. Mein Vater war ein hübscher Mann, sauber und gepflegt, und ich wußte sehr genau, daß ihm mehr als eine Frau im Viertel wohlgesonnen war.
»Dir ist es ja sehr leicht gefallen, eine Stellvertreterin für deine Mutter zu finden«, antwortete er bitter. »Aber für mich gibt es keine, und ich habe nicht das geringste Interesse, sie zu suchen.«
Im Laufe der Zeit begannen die Andeutungen meines Vaters und der Bernarda, ja auch von Barceló Eindruck auf mich zu machen. Etwas in mir sagte mir, daß ich mich da in eine Sackgasse hineinmanövrierte. Ich konnte doch nicht erwarten, daß Clara in mir mehr sah als einen Burschen, der zehn Jahre jünger war als sie. Ich spürte, daß es mir mit jedem Tag schwerer fiel, bei ihr zu sein, die Berührung ihrer Hände zu ertragen oder sie auf unseren Spaziergängen am Arm zu führen. Es kam der Moment, wo sich allein die Nähe zu ihr in fast körperlichem Schmerz ausdrückte. Das entging niemandem, am allerwenigsten Clara selbst.
»Daniel, ich glaube, wir müssen miteinander reden«, sagte sie. »Ich glaube, ich habe mich dir gegenüber nicht richtig benommen …«
Nie ließ ich sie ihre Sätze zu Ende bringen, sondern ging unter irgendeinem Vorwand aus dem Zimmer und floh. Es waren Tage, an denen ich das Gefühl hatte, es in einem unmöglichen Wettrennen mit dem Kalender aufzunehmen. Ich fürchtete, die Welt der Illusionen, die ich um Clara herum aufgebaut hatte, neige sich ihrem Ende zu. Kaum hingegen malte ich mir aus, daß meine Probleme eben erst begonnen hatten.

FEUER UND FLAMME 1950-1952
1
    An meinem sechzehnten Geburtstag hatte ich den unseligsten aller Einfälle, die ich bis dahin gehabt hatte. Ich hatte beschlossen, Barceló, die Bernarda und Clara zu einem Geburtstagsabendessen einzuladen. Mein Vater hielt das für einen Fehler.
    »Es ist mein Geburtstag«, antwortete ich grob. »Alle andern Tage des Jahres arbeite ich für dich. Tu mir wenigstens einmal den Gefallen.«
    »Mach, was du willst.«
    Die vorangehenden Monate waren die verwirrendsten meiner seltsamen Freundschaft mit Clara gewesen. Ich las ihr fast nie mehr vor. Sie mied jede Gelegenheit, wo sie mit mir hätte allein sein können. Immer wenn ich sie besuchte, war ihr Onkel da und gab vor, die Zeitung zu lesen, oder dann tauchte die Bernarda auf und wirtschaftete herum, wobei sie mir schiefe Blicke zuwarf. Andere Male kam die Gesellschaft in Form mehrerer Freundinnen von Clara. Ich nannte sie Schwestern Anislikör; immer kicherten sie trotz ihrer jungfräulichen Miene wie närrisch, patrouillierten in Claras

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