Barcelona 01 - Der Schatten des Windes
Sermone über die genetische und geistige Überlegenheit der spanischen Rasse und den unmittelbar bevorstehenden Verfall des bolschewistischen Reichs von sich.
»Marx ist tot«, sagte er feierlich.
»Genau seit dem Jahr 1883«, sagte ich.
»Halt bloß das Maul, du elender Wicht, sonst kriegst du eine geschmiert, daß du in der Rioja landest.«
Mehr als einmal hatte ich Bea dabei ertappt, wie sie bei sich die Einfältigkeiten belächelte, die ihr Leutnantfreund zum besten gab. Dann blickte sie auf und betrachtete mich undurchdringlich. Ich lächelte ihr mit der matten Herzlichkeit von Feinden in unbestimmter Waffenruhe zu, schaute aber gleich wieder weg. Eher wäre ich gestorben, als es zuzugeben, aber im Grunde meines Wesens hatte ich Angst vor ihr.
3
Zu Beginn dieses Jahres beschlossen Tomás und Fermín Romero de Torres, ihre jeweilige Erfindungsgabe in einem neuen Projekt zu verschmelzen, das meinen Freund und mich ihrer Meinung nach vom Militärdienst befreien sollte. Besonders Fermín teilte Señor Aguilars Begeisterung für die Felderfahrung gar nicht.
»Der Militärdienst ist einzig dazu gut, den Anteil von Kaffern in der Bevölkerung auszumachen«, war seine Meinung.
»Und der läßt sich in den beiden ersten Wochen feststellen, dazu braucht es nicht zwei Jahre. Armee, Ehe, Kirche und Bankwesen: die vier apokalyptischen Reiter. Ja, ja, lachen Sie nur.«
An einem Oktoberabend, als wir im Laden Besuch von einer alten Freundin bekamen, sollte Fermín Romero de Torres’ anarchistisches Denken ins Wanken geraten. Mein Vater war nach Argentona gefahren, um den Wert einer Büchersammlung zu bestimmen, und würde erst bei Einbruch der Dunkelheit zurückkehren. Ich bediente im Laden die Kundschaft, während Fermín mit seinen gewohnten Seiltänzerkunststücken die Leiter hochgeklettert war und knapp eine Handbreit unter der Decke das oberste Buchregal ordnete. Kurz vor Ladenschluß, als die Sonne schon untergegangen war, sah ich hinter dem Ladentisch hervor die Gestalt der Bernarda vor dem Schaufenster. Sie war donnerstäglich gekleidet, da es ihr freier Tag war, und winkte mir zu. Bei ihrem bloßen Anblick leuchtete mir das Herz, und ich bedeutete ihr hereinzukommen.
»Oh, wie groß Sie geworden sind!« sagte sie auf der Schwelle. »Man erkennt Sie kaum wieder … Sie sind ja schon ein Mann!«
Sie umarmte mich, verdrückte einige Tränchen und tätschelte mir Kopf, Schultern und Gesicht, um zu sehen, ob ich in ihrer Abwesenheit nicht zerbrochen sei.
»Sie werden vermißt bei uns, junger Herr«, sagte sie und senkte den Blick.
»Und ich habe dich vermißt, Bernarda. Komm, gib mir einen Kuß.«
Sie küßte mich schüchtern, und ich drückte ihr zwei schmatzende Küsse auf jede Wange. Sie lachte. Ihren Augen sah ich an, daß sie eine Frage nach Clara erwartete, aber ich hatte nicht vor, sie zu stellen.
»Du bist sehr hübsch heute, und sehr elegant. Was führt dich zu uns?«
»Nun, eigentlich wollte ich Sie schon lange aufsuchen, aber Sie wissen ja, wie das so ist, und unsereins hat viel zu tun – Señor Barceló ist zwar sehr gelehrt, aber er ist wie ein Kind, und da muß man eben mit beiden Händen zupacken. Aber was mich herführt, nun, morgen hat meine Nichte Geburtstag, die in San Adrián, und ich möchte ihr ein Geschenk mitbringen. Ich habe gedacht, ich schenke ihr ein gutes Buch, mit viel Text und wenig Bildern, aber ich bin ja schwer von Begriff und verstehe nichts von …«
Bevor ich antworten konnte, erzitterte der Laden mit großem Getöse, als aus der Höhe einige Bände von Blasco Ibáñez’ gesammelten Werken in die Tiefe sausten. Erschrocken schauten die Bernarda und ich hinauf. Wie ein Äffchen glitt Fermín die Leiter herab, ein listiges Lächeln im Gesicht, die Augen voll lüsterner Wonne.
»Bernarda, das ist …«
»Fermín Romero de Torres, bibliographischer Berater von Sempere und Sohn, mit untertänigster Empfehlung, Señora«, verkündete er, während er Bernardas Hand ergriff und nach allen Regeln der Kunst küßte.
In Sekundenschnelle verfärbte sie sich zum Tomatenpaprika.
»Oh, Sie irren sich, ich und eine Señora …«
»Zum wenigsten Marquise«, unterbrach sie Fermín. »Und ich muß es ja wissen, da ich die elegantesten Häuser der Avenida Pearson betrete. Erweisen Sie mir die Ehre, Sie zu unserer Abteilung Klassiker für Jugendliche und Kinder zu geleiten, wo ich wie von Gott gefügt ein Kompendium mit dem Besten von Emilio Salgari und die epische Erzählung Sandokar
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