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Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Titel: Barcelona 01 - Der Schatten des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafon
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erblicke.«
»Ach, ich weiß nicht recht, Heiligengeschichten – da habe ich Bedenken, weil doch der Vater des Kindes ganz im Arbeiterbund aufgegangen ist, verstehen Sie?«
»Seien Sie unbesorgt, hier habe ich nichts weniger als Die geheimnisvolle Insel von Jules Verne, eine hochabenteuerliche Erzählung von großem erzieherischem Gehalt, von wegen der technologischen Fortschritte.«
»Wenn Sie meinen …«
Schweigend folgte ich ihnen und stellte fest, daß sich Fermín vollkommen in sie vergafft hatte und die Bernarda über die Aufmerksamkeiten dieses Männchens staunte, das aussah wie eine billige Zigarre, das Mundwerk eines Schaustellers hatte und sie mit einem Feuer anschaute, das er sonst nur für Nestlé-Schokoladenpralinen aufbrachte.
»Und Sie, Señorito Daniel, was meinen Sie?«
»Señor Romero de Torres ist der Fachmann, du kannst dich ganz auf ihn verlassen.«
»Dann nehme ich also das von der Insel, wenn Sie es mir einpacken wollen. Was macht das?«
»Das geht auf Rechnung des Hauses«, sagte ich. »Oh, nein, auf keinen Fall …«
»Señora, wenn Sie es mir gestatten und mich so zum glücklichsten Manne Barcelonas machen wollen, geht es auf Rechnung von Fermín Romero de Torres.«
Die Bernarda schaute uns an.
»Hören Sie, was ich kaufe, zahle ich, und das ist ein Geschenk, das ich meiner Nichte machen will …«
»Dann werden Sie mir erlauben, Sie im Sinne eines Tauschhandels zum Vesperbrot einzuladen«, sagte er und strich sich die Haare glatt.
»Na, klar«, ermunterte ich sie. »Du wirst sehen, wie gut ihr euch amüsiert. Schau, ich pack dir das ein, während Fermín sein Jackett holt.«
Fermín sauste nach hinten, um sich zu kämmen und zu parfümieren und ins Jackett zu schlüpfen. Ich steckte ihm einige Duros aus der Ladenkasse zu, damit er die Bernarda einladen konnte.
»Wo soll ich denn hin mit ihr?« flüsterte er mir zu, nervös wie ein Gymnasiast.
»Ich würde sie ins Els Quatre Gats führen. Ich weiß sehr genau, daß es in Herzensangelegenheiten Glück bringt.«
Ich gab der Bernarda das Paket mit dem Buch und blinzelte ihr zu.
»Was bin ich Ihnen also schuldig, Señorito Daniel?«
»Ich weiß es nicht. Ich werd’s dir schon sagen. Es steht kein Preis im Buch, ich muß erst meinen Vater fragen«, log ich.
Ich sah die ungleichen Gestalten davongehen und sich in der Calle Santa Ana verlieren und dachte, vielleicht hält ja jemand im Himmel die Augen offen und gewährt diesem Paar ausnahmsweise ein wenig Glück. Ich hängte die Tafel Geschlossen ins Schaufenster und ging einen Moment in den Raum hinter dem Ladenlokal, um das Buch durchzusehen, in das mein Vater die Bestellungen notierte. Da hörte ich die Glocke der sich öffnenden Ladentür. Ich dachte, es sei Fermín, der etwas vergessen hatte, oder vielleicht mein Vater, der schon aus Argentona zurück war.
»Hallo?«
Es vergingen einige Sekunden, ohne daß eine Antwort zu vernehmen war. Ich blätterte weiter im Bestellbuch.
Im Laden hörte ich langsame Schritte.
»Fermín? Papa?«
Keine Antwort. Dann glaubte ich ein ersticktes Lachen zu hören und klappte das Bestellbuch zu. Vielleicht hatte ein Kunde die Tafel Geschlossen nicht bemerkt. Eben wollte ich nach vorn gehen, um ihn zu bedienen, als ich im Laden mehrere Bücher vom Regal fallen hörte. Ich schluckte. Ich packte einen Brieföffner und ging langsam auf die Tür zum Laden zu. Ich getraute mich nicht, noch einmal zu rufen. Gleich darauf hörte ich wieder Schritte, die sich diesmal entfernten. Abermals klingelte die Ladentür, und ich spürte einen Luftzug von der Straße. Ich schaute in den Laden hinein. Niemand. Ich lief zur Ladentür und verriegelte sie. Ich atmete tief durch, fühlte mich lächerlich und feige. Auf dem Weg zurück in den hinteren Raum sah ich auf dem Ladentisch ein Blatt Papier. Beim Nähertreten stellte ich fest, daß es ein Foto war, eine alte Aufnahme, wie sie früher gern auf dicken Karton gedruckt worden waren. Die Ränder waren verbrannt, und das rauchgeschwärzte Bild schien Spuren von aschebeschmutzten Fingern aufzuweisen. Ich studierte es unter einer Lampe. Auf dem Foto war ein sehr junges Paar zu sehen, das in die Kamera lächelte. Er sah nicht älter aus als siebzehn oder achtzehn, hatte helles Haar und feine Züge. Sie mochte etwas jünger sein, höchstens ein oder zwei Jahre, und hatte ein blasses, ziseliertes, von schwarzem Kurzhaar eingefaßtes Gesicht. Er hatte den Arm um ihre Taille gelegt, und sie schien ihm spöttisch etwas zuzuraunen. Das Bild

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