Barcelona 01 - Der Schatten des Windes
Bücher von Julián Carax verbrennen wollte?«
»Warum werden Bücher verbrannt? Aus Dummheit, aus Ignoranz, aus Haß … Was weiß ich.«
»Was glauben denn Sie?« insistierte ich.
»Julián hat in seinen Büchern gelebt. Die Leiche, die in der Totenhalle landete, das war nur ein Teil von ihm. Seine Seele ist in seinen Geschichten. Einmal habe ich ihn gefragt, wo er die Inspiration für seine Figuren hernehme, und er sagte, von niemand, alle seine Personen seien er selbst.«
»Wenn ihn also jemand vernichten wollte, müßte er diese Geschichten und diese Personen vernichten, nicht wahr?«
Wieder zeigte sich dieses mutlose Lächeln von Niederlage und Müdigkeit.
»Sie erinnern mich an Julián«, sagte sie. »Bevor er den Glauben verlor.«
»Den Glauben woran?«
»An alles.«
Im Halbdunkel trat sie auf mich zu und nahm meine flache Hand. Sie strich mir schweigend darüber, als wollte sie die Linien auf der Haut lesen. Die Hand zitterte unter ihrer Berührung. Ich ertappte mich dabei, wie ich im Geist unter diesen abgetragenen, wie geborgten Kleidern die Umrisse ihres Körpers nachzog. Ich wünschte mir, sie zu berühren und ihren Puls unter der Haut glühen zu fühlen. Unsere Blicke hatten sich getroffen, und ich war mir sicher, sie wußte, was ich dachte. Ich spürte, daß sie einsamer war denn je. Ich schaute auf und traf auf ihren gelassenen Blick.
»Julián ist allein gestorben, in der Überzeugung, daß sich niemand an ihn und seine Bücher erinnern würde und daß sein Leben nichts bedeutet hatte«, sagte sie. »Es hätte ihm Freude gemacht, zu wissen, daß ihn jemand lebendig erhalten wollte, an ihn denken würde. Er hat immer gesagt, wir existieren, solange sich jemand an uns erinnert.«
Mich überfiel der fast schmerzhafte Wunsch, diese Frau zu küssen, ein Verlangen, wie ich es noch nie empfunden hatte, nicht einmal, wenn ich Clara Barceló heraufbeschworen hatte. Sie las meinen Blick.
»Es ist spät geworden für Sie, Daniel«, murmelte sie.
Ein Teil von mir wollte bleiben, sich in der seltsamen Intimität des Halbdunkels mit dieser Unbekannten verlieren und sie sagen hören, meine Gesten und mein Schweigen erinnerten sie an Julián Carax.
»Ja«, sagte ich unsicher.
Sie nickte und begleitete mich zur Tür. Der Gang erschien mir ewig. Sie machte auf, und ich trat auf den Treppenabsatz hinaus.
»Wenn Sie meinen Vater sehen, sagen Sie ihm, es geht mir gut. Belügen Sie ihn.«
Ich verabschiedete mich mit gedämpfter Stimme von ihr, bedankte mich, daß sie Zeit für mich gehabt hatte, und wollte ihr höflich die Hand reichen. Sie übersah meine formelle Geste, legte mir die Hände auf die Arme, beugte sich zu mir hin und küßte mich auf die Backe. Wir schauten uns schweigend an, und diesmal wagte ich ihre Lippen zu suchen, beinahe zitternd. Mir schien, sie öffneten sich ein wenig und ihre Finger tasteten nach meinem Gesicht. Im letzten Moment zog sie sich zurück und senkte die Augen.
»Ich glaube, es ist besser, Sie gehen, Daniel«, flüsterte sie.
Ich hatte das Gefühl, sie würde gleich weinen, und noch bevor ich etwas sagen konnte, schloß sie die Tür. Ich blieb auf dem Treppenabsatz zurück und spürte ihre Anwesenheit auf der andern Seite der Tür, während ich mich fragte, was dort drin vorgefallen sein mochte. Gegenüber flackerte das Guckloch der Nachbarin. Ich schenkte ihr einen Gruß und stürzte treppab. Wieder auf der Straße, hafteten mir noch immer Nurias Gesicht, ihre Stimme und ihr Geruch im Herzen. Ich nahm die Berührung ihrer Lippen und ihres Atems auf der Haut mit durch die Straßen, die überfüllt waren von gesichtslosen, aus Büros und Geschäften strömenden Menschen. Als ich in die Calle Canuda einbog, überfiel mich eine eisige Brise, die den Lärm abschnitt. Ich war dankbar für den kalten Wind im Gesicht und ging Richtung Universität. Beim Überqueren der Ramblas bahnte ich mir einen Weg zur Calle Tallers und verlor mich dann in deren engem, im Dämmerlicht liegendem Stollen und dachte, ich sei noch immer in diesem düsteren Eßzimmer gefangen, in dem ich mir jetzt Nuria Monfort vorstellte, wie sie allein im Dunkeln saß und still ihre Bleistifte, Mappen und Erinnerungen ordnete, die Augen voller Tränen.
7
Fast heimtückisch brach der Nachmittag in sich zusammen, mit einem kalten Wind und einem Purpurschleier, der in sämtliche Winkel der Straßen glitt. Ich beschleunigte meine Schritte, und nach knapp zehn Minuten tauchte die Fassade der Universität wie ein in der Nacht
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