Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
Arbeitszimmer hinauf. Es war finstere Nacht, der Himmel ohne Mond und Sterne. Ich öffnete die Fenster weit, um die im Dunkeln liegende Stadt zu betrachten. Es ging kaum ein Luftzug, und der Schweiß brannte auf der Haut. Ich setzte mich aufs Fensterbrett, steckte mir die zweite von Isabellas Zigarren an und wartete auf einen frischen Windhauch und einen etwas originelleren Einfall als meine Sammlung von Gemeinplätzen, um den Auftrag des Patrons in Angriff zu nehmen. Da hörte ich, wie sich im unteren Stock die Fensterläden von Isabellas Zimmer öffneten. In den Innenhof fiel ein Rechteck aus Licht, in dem sich ihre Silhouette abzeichnete. Ohne meine Anwesenheit zu bemerken, trat sie ans Fenster und schien hinauszuschauen. Ich sah, wie sie sich langsam auszog, konnte erahnen, wie sie vor den Schrankspiegel trat und ihren Körper betrachtete, wie sie sich mit den Fingerspitzen über den Bauch und die Schnitte auf der Innenseite von Armen und Beinen strich. Sie schien sich lange zu betrachten und löschte dann das Licht.
Ich setzte mich wieder an den Schreibtisch vor den Stapel Notizen und Anmerkungen, die ich für das Buch des Patrons zusammengetragen hatte und die ich jetzt noch einmal durchging. Entwürfe für Geschichten über mystische Offenbarungen und Propheten, die nach schrecklichen Prüfungen mit einer ihnen offenbarten Wahrheit zurückkehrten, über messianische Thronfolger, die man vor den Türen demütiger, reinherziger Familien ausgesetzt hatte, welche von unheilvollen Imperien verfolgt wurden, Geschichten über Paradiese in anderen Dimensionen, die denen verheißen waren, welche ihr Los und die Gesetze unverzagt hinnahmen, und über müßiggängerische Gottheiten in Menschengestalt, die nichts anderes taten, als das Gewissen von Millionen zarter Primaten telepathisch zu überwinden, Primaten, welche gerade rechtzeitig denken gelernt hatten, um zu entdecken, dass sie in einem verlorenen Winkel des Universums ihrem Schicksal überlassen waren, und deren Eitelkeit – oder Verzweiflung – sie glauben ließ, dass Himmel und Hölle sich tatsächlich um ihre schäbigen kleinen Sünden scherten.
Ich fragte mich, ob es das war, was der Patron in mir gesehen hatte, eine Söldnerseele, die bedenkenlos ein betäubendes Märchen ausheckte, das Kinder zum Einschlafen brachte oder einen verzweifelten armen Teufel dazu verleitete, seinen Nachbarn zu meucheln, und das einzig für die ewige Dankbarkeit von Gottheiten, die sich dem Gesetz des Tötens verschrieben hatten.
Einige Tage zuvor hatte mich der Patron mit einem Schreiben zu einem weiteren Rendezvous bestellt, um den Fortgang meiner Arbeit zu besprechen. Der eigenen Skrupel müde, sagte ich mir, dass bis zu dem Treffen nur noch vierundzwanzig Stunden blieben und ich bei meinem Tempo Gefahr lief, mit leeren Händen und dem Kopf voller Zweifel und Misstrauen zu erscheinen. So tat ich, was ich jahrelang in ähnlichen Lagen getan hatte – ich spannte ein Blatt in die Underwood ein, und mit den Händen auf den Tasten wie ein Pianist in Erwartung des Einsatzes begann ich mein Hirn auszupressen, um zu sehen, was dabei herauskäme.
17
»Interessant«, sagte der Patron nach der zehnten und letzten Seite. »Sonderbar, aber interessant.«
Wir saßen auf einer Bank im goldenen Halbdunkel des Umbráculo-Pavillons im Ciudadela-Park. Die Lamellen filterten die Sonnenstrahlen zu Goldstaub, die Pflanzen modellierten das Hell und Dunkel des seltsamen Dämmerns um uns herum. Ich zündete mir eine Zigarette an und schaute dem in Spiralen aufsteigenden Rauch nach.
»In Ihrem Mund ist ›sonderbar‹ ein beunruhigendes Adjektiv«, bemerkte ich.
»Ich meinte ›sonderbar‹ im Gegensatz zu ›platt‹«, präzisierte Corelli.
»Aber?«
»Kein Aber, lieber Martín. Ich glaube, Sie haben einen interessanten Weg voller Möglichkeiten gefunden.«
Wenn man einem Romanschriftsteller sagt, einige Seiten seien interessant geraten und steckten voller Möglichkeiten, ist das für ihn der Hinweis, dass es gar nicht gut läuft. Corelli schien meine Besorgnis zu erahnen.
»Sie haben das Pferd vom Schwanz her aufgezäumt. Anstatt bei den mythologischen Bezügen zu beginnen, haben Sie bei den prosaischsten Quellen angefangen. Darf ich fragen, woher Sie die Idee eines kriegerischen statt eines friedfertigen Messias haben?«
»Die Biologie haben Sie ins Spiel gebracht.«
»Alles, was wir wissen müssen, steht im großen Buch der Natur. Es braucht nichts anderes als Mut, einen
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