Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
eine Art Justitia-Statue, deren Büste und Aussehen einer der Heroinen vom Paralelo ähnelte. Im Sekretariat empfing mich ein mausartiges Männchen mit freundlichem Lächeln und fragte mich nach meinem Begehr.
»Ich suche einen Anwalt.«
»Da sind Sie genau am richtigen Ort. Hier wissen wir schon nicht mehr, wie wir sie loswerden sollen. Jeden Tag werden es mehr. Sie vermehren sich wie Kaninchen.«
»Das ist die moderne Welt. Meiner heißt – oder hieß – Valera, S. Valera.«
Mit leisem Gemurmel verlor sich das Männchen in einem Labyrinth von Aktenschränken. Auf den Empfangstisch gestützt, musterte ich während des Wartens die Einrichtung, die von dem erdrückenden Gewicht des Gesetzes zu künden schien. Fünf Minuten später kam das Männchen mit einem Aktendeckel zurück.
»Ich finde zehn Valeras. Zwei mit S, Sebastián und Soponcio.«
»Soponcio?« Soponcio bedeutete so viel wie Ohnmachtsanfall.
»Sie sind noch sehr jung, aber vor Jahren war das ein klangvoller Name, sehr geeignet für die Ausübung des Justizberufs. Dann ist der Charleston gekommen und hat alles ruiniert.«
»Lebt Don Soponcio noch?«
»Laut Archiv und seiner Abmeldung von der Mitgliederliste der Kammer ist Soponcio Valera y Menacho im Jahre 1919 in das Reich Unseres Herrn eingegangen. Memento mori. Sebastian ist der Sohn.«
»Ausübend?«
»Stetig und vollamtlich. Ich ahne, dass Sie seine Adresse möchten.«
»Wenn es Ihnen nicht zu viel Mühe macht.«
Das Männchen schrieb sie mir auf ein Zettelchen.
»Diagonal 442. Das ist ein Katzensprung von hier, aber es ist bereits zwei, und um diese Zeit führen Anwälte von Rang reiche Witwen oder Textil- und Sprengstofffabrikanten zum Essen aus. Ich würde bis um vier warten.«
Ich steckte die Adresse in die Jacketttasche. »Das werde ich. Herzlichen Dank für Ihre Hilfe.« »Dazu sind wir da. Gott behüte Sie.«
Um die zwei Stunden bis zum Besuch bei Valera totzuschlagen, fuhr ich mit der Straßenbahn zur Via Layetana hinunter und stieg auf der Höhe der Calle Condal aus. Die Buchhandlung Sempere und Söhne war nur ein paar Schritte von hier entfernt, und ich wusste aus Erfahrung, dass der alte Buchhändler sein Geschäft entgegen der üblichen Praxis seines Gewerbes über Mittag geöffnet hielt. Ich fand ihn wie immer am Ladentisch, wo er Bücher ordnete und zwischendurch zahlreiche Kunden bediente, die zwischen Tischen und Regalen Jagd auf irgendeinen Schatz machten. Als er mich sah, kam er mit einem Lächeln auf mich zu. Er war hagerer und blasser als das letzte Mal. Offenbar erkannte er die Besorgnis in meinem Blick: Er zuckte die Achseln und spielte das Ganze mit einer Handbewegung herunter.
»Lieber reich und gesund als arm und krank. Sie sind ein gestandenes Mannsbild, und ich bin fix und fertig, wie Sie sehen«, sagte er.
»Sind Sie wohlauf?«
»Frisch wie eine Rose. Die verdammte Angina Pectoris. Nichts Ernsthaftes. Was führt Sie her, mein lieber Martín?«
»Ich wollte Sie zum Essen einladen.«
»Vielen Dank, aber ich kann das Ruder nicht verlassen. Mein Sohn ist nach Sarriä gefahren, um eine Sammlung zu schätzen, und es steht nicht so, dass wir schließen können, wenn die Kundschaft unterwegs ist.«
»Sagen Sie nicht, Sie haben Geldprobleme.«
»Das ist eine Buchhandlung, Martín, keine Rechtskanzlei. Hier wirft das Wort gerade das Nötigste ab, und manchmal nicht einmal das.«
»Wenn Sie Hilfe brauchen …«
Sempere stoppte mich mit erhobener Hand.
»Wenn Sie mir helfen wollen, dann kaufen Sie mir ein Buch ab.«
»Wie Sie wissen, ist die Schuld, in der ich bei Ihnen stehe, nicht mit Geld zu bezahlen.«
»Ein Grund mehr, nicht einmal daran zu denken. Machen Sie sich keine Sorgen um uns, Martín, hier trägt man mich höchstens in einem Pinienholzsarg raus. Aber wenn Sie wollen, dürfen Sie mit mir ein schmackhaftes Mahl aus Brot mit Rosinen und Frischkäse aus Burgos teilen. Damit und mit dem Grafen von Monte Cristo kann man hundert Jahre überleben.«
19
Sempere rührte kaum einen Bissen an. Er lächelte müde und tat so, als interessierte ihn, was ich sagte, aber ich sah, dass ihm zeitweise sogar das Atmen schwerfiel.
»Erzählen Sie, Martín, woran arbeiten Sie gerade?«
»Schwer zu erklären. Es ist ein Auftrag.«
»Ein Roman?«
»Nicht direkt. Ich weiß auch nicht, wie ich es nennen soll.«
»Wichtig ist, dass Sie arbeiten. Ich habe immer gesagt, Müßiggang weicht den Geist auf. Man muss den Kopf beschäftigt halten. Und wenn man
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