Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
auch in mir selbst doch noch etwas Gutes und Anständiges geben.
»Bleibst du?«, fragte ich.
»Nennen Sie mir einen guten Grund. Einen ehrlichen, in Ihrem Fall also einen egoistischen Grund. Und ich rate Ihnen, mir keine Lüge aufzutischen, sonst geh ich auf der Stelle.«
Sie verschanzte sich hinter einem abwehrenden Blick in Erwartung einer meiner Schmeicheleien, und einen Augenblick lang erschien sie mir als der einzige Mensch auf der Welt, den ich weder belügen konnte noch wollte. Ich schaute zu Boden und sagte ausnahmsweise die Wahrheit, und sei es nur, damit ich sie selbst einmal laut hörte.
»Weil du die einzige Freundin bist, die ich noch habe.«
Ihr harter Ausdruck verflog, und bevor ich Mitleid in ihren Augen lesen konnte, schaute ich weg.
»Und was ist mit Señor Sempere und dem anderen, diesem Oberpedanten Barceló?«
»Du bist die Einzige, die mir noch die Wahrheit zu sagen wagt.«
»Und Ihr Freund, der Patron, sagt er Ihnen nicht die Wahrheit?«
»Das kannst du nicht miteinander vergleichen. Ein Patron ist kein Freund. Und ich glaube, der hat in seinem Leben noch nie die Wahrheit gesagt.«
Isabella schaute mich lange an.
»Sehen Sie? Ich wusste ja, dass Sie ihm nicht trauen. Ich habe es Ihnen vom ersten Tag an angesehen.«
Ich versuchte, etwas Würde zurückzugewinnen, fand aber nur Sarkasmus.
»Hast du das Gesichterlesen in die Liste deiner Talente aufgenommen?«
»Um in Ihrem zu lesen, braucht man kein Talent«, schlug sie zurück. »Es ist wie im Märchen vom Däumling.«
»Und was liest du noch in meinem Gesicht, werte Hellseherin?«
»Dass Sie Angst haben.«
Ich versuchte zu lachen, aber es gelang mir nicht.
»Sie brauchen sich Ihrer Angst nicht zu schämen. Angst zu haben ist ein Zeichen von gesundem Menschenverstand. Die Einzigen, die keine Angst haben, sind die hoffnungslos Dummen. Das habe ich in einem Buch gelesen.«
»Im Handbuch für Feiglinge?«
»Sie brauchen es ja nicht zuzugeben, wenn Sie dadurch Ihre Männlichkeitsgefühle gefährdet sehen. Ich weiß, dass Männer glauben, das Maß ihrer Verbohrtheit entspreche der Größe Ihrer Geschlechtsteile.«
»Hast du auch das in diesem Buch gelesen?«
»Nein, das ist auf meinem Mist gewachsen.«
Ich konnte mich nicht mehr verstecken und ließ die Hände sinken.
»Na gut. Ja, ich gebe zu, dass ich eine vage Unruhe verspüre.«
»Vage sind nur Sie – Sie vergehen fast vor Angst. Geben Sie es doch zu.«
»Lassen wir die Kirche im Dorf. Sagen wir, ich habe gewisse Zweifel hinsichtlich der Beziehung zu meinem Verleger, was nach all meinen Erfahrungen ja auch verständlich ist. Soweit ich weiß, ist Corelli ein vollkommener Gentleman, und unsere berufliche Beziehung wird für beide Seiten ertragreich und positiv sein.«
»Darum rumort es jedes Mal in Ihrem Bauch, wenn sein Name fällt.«
Mir ging in dieser Debatte langsam die Luft aus.
»Was willst du denn hören, Isabella?«
»Dass Sie aufhören, für ihn zu arbeiten.« »Das kann ich nicht.«
»Und warum nicht? Können Sie ihm nicht sein Geld zurückgeben und ihn zum Teufel schicken?« »So einfach ist das nicht.«
»Warum nicht? Stecken Sie in Schwierigkeiten?«
»Ich glaube, ja.«
»In was für welchen?«
»Das versuche ich ja herauszufinden. Jedenfalls bin allein ich dafür verantwortlich und muss da auch wieder allein herauskommen. Darüber brauchst du dir keine Gedanken zu machen.«
Isabella schaute mich an; für den Augenblick schluckte sie es, überzeugt war sie aber nicht.
»Sie sind ein völlig unmöglicher Mensch, wissen Sie das?«
»Ich gewöhne mich langsam an den Gedanken.« »Wenn ich bleiben soll, dann müssen sich die Regeln hier ändern.«
»Ich bin ganz Ohr.«
»Schluss mit dem aufgeklärten Absolutismus. Von heute an herrscht in dieser Wohnung Demokratie.«
»Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.«
»Vorsicht mit der Brüderlichkeit. Aber nichts mehr mit ›Ich befehle und ordne an‹, keine Auftritte mehr als Mister Rochester.«
»Ganz wie Sie meinen, Miss Eyre.«
»Und machen Sie sich keine Illusionen – ich werde Sie nicht heiraten, selbst wenn Sie erblinden.«
Ich reichte ihr die Hand, um unseren Pakt zu besiegeln. Sie ergriff sie zögernd, dann umarmte sie mich. Ich ließ mich von ihren Armen einhüllen und vergrub das Gesicht in ihren Haaren. In der Berührung mit ihr lag Friede und glückliche Ankunft, das Licht des Lebens eines siebzehnjährigen Mädchens, und es fühlte sich an wie die Umarmung, für die meine
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