Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
armen Sempere junior meine Fehler als menschliches Wesen an, denn er ist ganz eindeutig eine Seele von Mensch.«
»Wir haben doch ausgemacht, dass Sie keinen Freund für mich suchen.«
»Niemand hat von einem Freund gesprochen. Wenn du mich ausreden lässt, erläutere ich dir den Rest.«
»Fahren Sie fort, Rasputin.«
»Wenn Sempere senior einwilligt, und er wird einwilligen, dann sollst du täglich zwei, drei Stunden hinter dem Ladentisch der Buchhandlung stehen.«
»Und wie gekleidet? Als Mata Hari?«
»So schicklich und geschmackvoll wie stets. Anmutig, anregend, aber ohne Aufsehen zu erregen. Wenn nötig, nimmst du eines von Irene Sabinos Kleidern, aber ein hübsch züchtiges.«
»Es gibt zwei oder drei, die mir wie angegossen sitzen.« Isabella leckte sich die Lippen.
»Dann ziehst du das an, das dich am meisten verhüllt.«
»Sie sind ein Reaktionär. Und was wird aus meiner literarischen Bildung?«
»Gibt es ein besseres Klassenzimmer als die Buchhandlung Sempere und Söhne? Da stehen Meisterwerke in Hülle und Fülle, von denen du lernen kannst.«
»Und was soll ich tun? Tief einatmen, damit etwas hängen bleibt?«
»Es sind ja nur ein paar Stunden täglich. Dann kannst du hier mit deiner Arbeit fortfahren wie bisher und meine unbezahlbaren Ratschläge entgegennehmen, die aus dir eine neue Jane Austen machen werden.«
»Und wo ist die List?«
»Die List ist, dass ich dir jeden Tag ein paar Peseten gebe, und immer wenn ein Kunde bezahlt und du die Registrierkasse öffnest, legst du sie ganz diskret hinein.«
»Das also ist der Plan …«
»Das ist der Plan, und er hat nichts Verdorbenes, wie du siehst.«
Sie blickte finster drein.
»Das wird nicht funktionieren. Er wird merken, dass etwas nicht stimmt. Señor Sempere ist ein schlauer Fuchs.«
»Es wird funktionieren. Und wenn Sempere sich wundert, sagst du, wenn die Kunden hinter dem Ladentisch ein hübsches, sympathisches Mädchen sähen, säße das Geld locker und sie zeigten sich spendabler.«
»Das mag in den Spelunken so sein, in denen Sie verkehren, aber nicht in einer Buchhandlung.«
»Da bin ich anderer Meinung. Wenn ich eine Buchhandlung betrete und mich einer so entzückenden Verkäuferin wie dir gegenübersehe, kaufe ich ihr sogar den letzten nationalen Literaturpreisträger ab.«
»Ja, weil Sie eine schmutzige Phantasie haben.«
»Ich habe auch – oder vielleicht sollte ich sagen: wir haben auch eine Dankesschuld gegenüber Sempere.«
»Das geht unter die Gürtellinie.«
»Dann lass mich nicht noch tiefer zielen.«
Jedes Überzeugungsmanöver, das etwas taugt, appelliert zuerst an die Neugier, dann an die Eitelkeit und zuletzt an die Güte oder das schlechte Gewissen. Isabella senkte den Blick und nickte langsam.
»Und wann wollten Sie Ihren Plan mit der barmherzigen Nymphe in die Tat umsetzen?«
»Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.«
»Heute?«
»Heute Nachmittag.«
»Sagen Sie die Wahrheit: Ist das eine Kriegslist, um das Geld in Umlauf zu bringen, das Ihnen der Patron zahlt, und um Ihr Gewissen zu reinigen – oder was auch immer Sie an seiner Stelle haben?«
»Du weißt ja, dass meine Gründe immer egoistisch sind.«
»Und was ist, wenn Señor Sempere nicht mitspielt?«
»Du musst nur sichergehen, dass der Sohn da ist und dass du hübsch sonntäglich gekleidet bist, aber nicht wie für die Messe.«
»Das ist ein beleidigender Plan, entwürdigend.«
»Und er entzückt dich.«
Endlich lächelte sie wie eine Katze.
»Und wenn dem Sohn plötzlich der Kamm schwillt und er zu weit gehen will?«
»Ich garantiere dir, dass der Erbe es nicht wagen wird, dich auch nur mit einer Fingerspitze anzurühren, außer in Gegenwart eines Geistlichen und mit einer Urkunde der Diözese in der Hand.«
»Besser ein Spatz in der Hand als eine Taube auf dem Dach.«
»Wirst du es tun?«
»Für Sie?«
»Für die Literatur.«
23
Als ich aus dem Haus trat, überraschte mich eine kalte, schneidende Brise, die ungeduldig durch die Straßen fegte, und mir wurde klar, dass in Barcelona allmählich der Herbst Einzug hielt. Auf der Plaza Palacio bestieg ich eine leere Straßenbahn, die wie eine große, eiserne Mausefalle dort wartete. Ich setzte mich ans Fenster und löste beim Schaffner eine Fahrkarte.
»Fahren Sie bis Sarrià?«, fragte ich.
»Bis zur Plaza.«
Ich lehnte den Kopf an die Scheibe, bis die Bahn wenig später mit einem Ruck losfuhr. Ich schloss die Augen und sank in eines dieser
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